Die ForseA-Weihnachtsgeschichte 2015
von Björn
Wie wir Freunde wurden
Mein Name ist Björn. Ich bin seit meiner Geburt schwerstmehrfach behindert und Rollstuhlfahrer. Als ich drei Jahre alt war, wurde mein Freund Thomas geboren. Damals wussten wir noch nicht, dass wir einmal so gute Freunde sein würden. Zu dieser Zeit wohnte ich mit meinen Eltern ca. 2 km von Thomas entfernt.
Meine Mutter und die Mutter von Thomas kennen sich sehr gut und so haben wir uns zu Kindergeburtstagen und Spielnachmittagen gegenseitig besucht. Wir haben gemeinsam im Sand gespielt und uns von unseren Omas verwöhnen lassen. Thomas Oma wohnt im gleichen Haus wie seine Eltern und meine Oma wohnt zwei Häuser weiter, im gleichen Dorf.
Jede freie Minute
Als ich zwölf Jahre alt war, bin ich mit meiner Schwester und meinen Eltern ins gleiche Dorf gezogen, in dem Thomas wohnt. Jetzt begann unsere Freundschaft erst richtig. Zu dieser Zeit bekam ich meinen ersten Elektro-Rollstuhl.
Nun war ich nicht mehr zu halten und jede freie Minute haben wir beide zusammen verbracht. Thomas hatte seine Hausaufgaben bereits erledigt, wenn ich aus der Schule zurückkam. Die Schule für Körperbehinderte ist eine Ganztagsschule. In der Regel war es bereits 16.30 Uhr wenn der Bus zuhause ankam. Ich habe nur kurz meine Mutter begrüßt und dann war ich schon auf dem Weg zu Thomas. Thomas war damals schon der perfekte Handwerker.
Der perfekte Handwerker
Er bastelte für sich die tollsten Gefährte zusammen wie z.B. Seifenkisten mit Rasenmähermotor usw. Ich war bereits im Bus ganz wibbelig, so freute ich mich darauf, Thomas beim „Schrauben" zuzuschauen. Dann sind wir Wettrennen gefahren, ich mit meinem E-Rolli und er mit seinen selbst entworfenen Fahrzeugen. Ich glaube, bei uns im Dorf hat sich jeder mit uns gefreut. Später hatten seine Fahrzeuge auch einen Auspuff, der nicht gerade leise war.
E-Rolli mit Anhänger
Eine besonders große Freude machte mir Thomas, als er für meinen E-Rolli einen Anhänger gebaut hat. Zuerst bekam der Rollstuhl eine Anhängerkupplung und anschließend einen wunderschön grün lackierten Holzanhänger. Nun konnten wir beide gemeinsam arbeiten. Für unsere Opas haben wir Holz gefahren. In unserem Dorf heizen auch heute noch unsere Großeltern mit einem Kamin oder Ofen.
Mein Opa oder Thomas haben das Holz auf meinen Anhänger geladen und ich bin dann stolz damit in die Scheune gefahren. Hier wurde das Holz gestapelt. Oder wir haben gemeinsam Kaninchenfutter gesammelt. Beide Opas haben Kaninchen und Federvieh.
Auf andere Gedanken bringen
Mit 14 Jahren bekam ich eine schlimme Skoliose, ich wurde krumm und schief und hatte starke Schmerzen. Meine Zeit in der Schule verbrachte ich überwiegend liegend auf einer Matratze. Meinen E-Rolli konnte ich nicht mehr selbst bedienen und wurde in meinem manuellen Rollstuhl transportiert. Thomas war mit seinen elf Jahren schon ganz schön kräftig und holte mich kurzerhand mit meinem „Schieberolli" ab. Er parkte mich am Straßenrand und führte mir mit seinem selbstgebauten Gefährt die tollsten Kunststücke vor. Trotz meiner Schmerzen habe ich mich riesig gefreut und viel gelacht. Wenn ich nicht mehr sitzen konnte, brachte er mich nach Hause und erzählte mir lustige Dinge, um mich auf andere Gedanken zu bringen. Ich lag auf meinem Bett und er hat mich unterhalten. Oder wir haben gemeinsam einen Film angeschaut.
Nie vergessen
Als Thomas ca. 15 Jahre alt war, bekam er von seinem Opa eine eigene Garage.
Nun schraubte er nicht mehr an selbstgebauten Fahrzeugen, sondern an seinem Mofa und denen seiner anderen Freunde, sowie Rasenmähern usw. Über seinen anderen Freunden hat er mich nie vergessen. Auch von seinen Freunden wurde ich immer freundlich empfangen.
Nach meinem 18. Geburtstag wurde meine Skoliose so schmerzhaft, dass nur noch eine Operation helfen konnte. Ich wurde in Münster operiert. Meine Bandscheiben wurden komplett entfernt. Heute habe ich zwei Titanstangen im Rücken und eine Titanstange an der Seite. Nachdem alles verheilt war, konnte ich meinen E-Rolli wieder alleine bedienen. Heute bin ich wieder gerade.
Neuer Lebensabschnitt
Für Thomas und mich begann ein neuer Lebensabschnitt. Er begann mit seiner Ausbildung in einer Firma, die Motorräder und Rasenmäher verkauft. Diese Firma hat eine eigene Reparaturwerkstatt. Ich glaube, man hat Thomas nicht mehr viel beibringen können, er ist ein handwerkliches Genie. Ich wechselte von der Körperbehindertenschule in die Werkstatt für behinderte Menschen. Ich arbeite im Förderbereich, weil ich motorisch so eingeschränkt bin, dass ich am Arbeitsleben nicht teilnehmen kann.
Kein Problem
Thomas‘ Opa hat einen eigenen Fischteich. Hier wird oft gegrillt oder ein Lagerfeuer entfacht. Leider ist der Teich nur über eine holperige Wiese zu erreichen. Das ist aber kein Problem für Thomas und seine Freunde. Dann werde ich „mal eben" mit meinem Rollstuhl über die Wiese gefahren. Die Terrasse an Thomas Elternhaus ist nur über einige Treppenstufen zu erreichen. So stand ich meistens unterhalb der Terrasse, um mich mit den Familienangehörigen zu unterhalten.
Eines Tages waren die Stufen verschwunden. Thomas und sein Vater haben für mich eine lange Schräge gebaut, so dass auch ich mit auf der Terrasse stehen kann.
Thomas‘ Zimmer liegt oben unter dem Dach. Eine lange schmale Treppe führt hinauf. Wenn ein Filmabend angesagt war, wurde ich die Treppe hinauf getragen. Das ist heute leider nicht mehr möglich. Ich bin zu groß und zu schwer. Vor allem aber oben herum völlig unbeweglich und steif, infolge der Titanstangen.
Ein besonderes Erlebnis ist es auch, wenn Bäume gefällt werden, für das Winterholz. Thomas und sein Opa verladen mich mit dem Rollstuhl auf einem großen Hänger, dann geht es durch Wald und Wiese. Ich werde so abgeladen, dass ich zuschauen kann, wie Thomas und sein Opa die Bäume absägen.
Glücklich
Inzwischen ist Thomas 31 Jahre alt und ich bin 34 Jahre. Thomas ist seit einigen Jahren verheiratet. Seine Hochzeit war ein großes Fest. Seine Frau mag mich auch gut leiden.
Inzwischen fährt er einen tiefer gelegten Golf mit Sportauspuff und ein Motorrad. In seinem Auto durfte ich schon oft mitfahren.
Ach ja! Und auf den Hund gekommen ist Thomas, gemeinsam mit seiner Frau. Sein Name ist Emil. Wenn Gassi gehen angesagt ist, kommen die drei vorbei und nehmen mich schon mal mit. Auch heute, nach vielen Jahren Freundschaft fahren wir noch gemeinsam ins Kino und Thomas hebt mich abends aus dem Rollstuhl und trägt mich auf’s Bett. Er ist groß und stark und immer gut gelaunt.
Seit einigen Monaten lebe ich in meinem Elternhaus in einer eigenen Wohnung. Das ist eine tolle Erfahrung, für die wir (meine Eltern und ich) allerdings fast ein Jahr kämpfen mussten. Das Persönliche Budget, mit dem die Assistenten bezahlt werden, muss man beantragen. Aber die Kostenträger wollten meine Assistenten nicht bezahlen.
Seit ich einen eigenen Wohnbereich habe, kommt Thomas mich noch öfter besuchen. Er ist auch begeistert davon, dass ich nicht in einem Wohnheim lebe, sondern eigenständig und selbstbestimmt entscheiden kann, wie ich leben möchte.
Trotz meiner schweren Behinderung bin ich ein glücklicher Mensch. Ich möchte nicht in einer Einrichtung leben. Die Menschen leben dort sehr eingeschränkt.
Ich genieße viele Freiheiten.
Thomas wohnt in meiner Nähe im Nachbarort. Dort hat er mit seiner Frau ein Haus gekauft. Aber egal was kommt, Thomas hat mich nie vergessen. Er ist mein bester Freund. Er lässt mich an seinem Leben teilhaben und dafür bin ich ihm sehr dankbar.
Ein besonderes Geschenk zu Weihnachten
Meine Oma hat mir vor einigen Jahren ein kleines Grundstück geschenkt, worauf ein alter Dorfbrunnen steht. Dieses Grundstück liegt direkt gegenüber von Thomas‘ Elternhaus. Nun konnte ich mich endlich einmal revanchieren. Nachdem ich mit meiner Oma gesprochen habe und diese einverstanden war, habe ich das Grundstück an Thomas weiterverschenkt, natürlich hochoffiziell mit Notar. Über dieses Weihnachtsgeschenk hat er sich sehr gefreut.
Frohe Weihnachten wünscht
Björn
p.s. Diesen Text habe ich gemeinsam mit meiner Mutter verfasst. Ich kann nicht schreiben, aber gut diktieren.