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2018 Julia und Alex - Ein Weihnachtsmärchen

Julia und Alex - ein Weihnachtsmärchen

von Laura K. Brachtel, Wetzlar

Illustrationen: Gerd Metzler www.nautcore.net

Es war Winter. Der Schnee fiel mit seinen leisen Sohlen auf die Dächer der Kleinstadt. Julia war auf dem Weg, Geschenke für ihre Freunde und Familie auszusuchen. Sie wohnte in einer kleinen, aber feinen Wohnung. Mitten in der Stadt, aber dennoch nicht laut, eben gerade richtig gelegen. So konnte sie alles erreichen, was sie wollte: Post, ihr Stamm-Bistro, Bank, Geschäfte… Ihre Wohnung war in einem Gebäude, in dem nur pflegebedürftige Menschen in eigenen Wohnungen wohnen. Es wird von der Stadt unterstützt. Die Wohnungen gehören einem oder mehreren Besitzern, aber sie sind verpflichtet, ihre Wohnungen an pflegebedürftige oder ältere Menschen zu vermieten.

Um die Assistenz allerdings müssen die Menschen sich selbst kümmern. Nun, werdet ihr sagen, das ist doch nichts Besonderes. Doch für Julia war es etwas Außergewöhnliches, denn sie war auf ihren E-Rollstuhl angewiesen. Denn Julia war körperbehindert. Sie konnte sich aber noch ganz gut selbst versorgen. So benötigte sie nur zwei Stunden Assistenz am Tag. Durch eine Anzeige hatte sie eine Studentin gefunden, die diese Aufgabe übernahm. Auch das Sozialamt bezahlte die Kosten für die Assistentin. Julia war dort bekannt. Alle waren freundlich zu ihr, denn sie hatte da einmal hospitiert und einen Mini-Job gehabt.

So fuhr sie zufrieden durch die Kleinstadt. Gutgelaunt besuchte sie ihr Bistro, das natürlich barrierefrei war. Und …zufällig saß am Nebentisch ebenfalls ein E-Rollstuhlfahrer. Heute war ihr Glückstag! Denn eigentlich kannte Julia alle Rollstuhlfahrer und Rollstuhlfahrerinnen in der Stadt. Aber den, der jetzt neben ihr am Tisch saß, den hatte sie noch nie gesehen. So fragte sie ihn, wo er denn herkomme und wo er wohne. Der Jugendliche war etwas älter als sie, sie fand ihn sofort seeehr nett. Er war aus einer Reha-Einrichtung zu Besuch und schaute sich mit seinem Vater jetzt ein Heim in der Stadt an, in dem er wohnen sollte. Er war dort bereits angemeldet und auch aufgenommen, hatte dort ein Zimmer mit einem Bett und einem Schrank und einem Tisch. Sehr begeistert war er nicht von dem Heim. Aber es blieb ihm ja wohl nichts anderes übrig. Das Sozialamt wollte die acht Stunden Assistenz am Tag, die er brauchte, nicht bezahlen. Das Heim war billiger.

„Mehrkosten" sagte er zu Julia, „die übernehmen sie nicht, steht so im Teilhabegesetz". Julia murmelte etwas von „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden…". Alex, so hieß der Rolli-Fahrer, winkte ab: „Bloßes Geschwätz aus dem Grundgesetz, hält sich sowieso keiner dran." Das werden wir sehen, sagte Julia: „Wir fahren jetzt sofort zum Sozialamt. Neben meiner Wohnung ist gerade eine zweite Wohnung frei geworden. Die ist genauso eingerichtet wie meine; barrierefrei, behindertengerechtes Bad und auch eine Küche. Und eine Terrasse. Teuer sind die Wohnungen in dem Haus auch nicht. Die müssen nämlich für so Leute, wie wir es sind, von der Stadt bereitgestellt werden und werden vom Land mit Zuschüssen bezahlt." Und so geschah es. Julia redete mit den Leuten im Sozialamt. Sie kannte sich dort ja aus.

Weihnachtsmann mit KinderUnd so kam es, dass Alex direkt zu Weihnachten neben ihr einzog. Die Angelegenheit mit den acht Stunden Assistenz war auch geregelt. Im Sozialamt sagte man zu den beiden: „Wenn ihr das euch zutraut, aber Julia, du weißt ja, dass Alex sich um seine Assistenz und seine Stunden selbst kümmern muss…" Daraufhin schluckten die beiden, wussten aber, dass sie es schon irgendwie hinbekommen würden. Natürlich gab es vorher noch einige Hürden. Alex musste nämlich seinen Vater davon überzeugen, dass er nichts ins Heim einziehen wollte - er hatte ja jetzt eine viel bessere Lösung… Auch die Pflegekräfte im Heim waren nicht besonders von seinen Plänen begeistert, sie sagten: „Wie willst du denn da draußen zurechtkommen?" „Nein" entgegnete der Vater, „jetzt habe ich schon alles in dein Zimmer eingeräumt… und jetzt soll plötzlich alles rückgängig gemacht werden" „Wer regelt die Pflege?" Aber Julia sagte zu dem Vater: „Wollen Sie, dass Alex im Heim ist? Ist das Ihr Wille?" Der Vater wurde kleinlaut und hatte dazu nicht entgegenzusetzen. Es antwortete nur: „Wenn Alex das will… Dann muss ich wohl nachgeben." Die Pflegekräfte ließen sich das noch mit einer Unterschrift bestätigen, sie sagten: „Wenn das mal gut geht…!"

„Klasse", meinte Alex und gemeinsam fuhren sie erst Mal in Julias Wohnung. Sie fuhren nebeneinander her. Irgendwie hatten beide das Gefühl, dass sie sich schon ewig kannten. Obwohl es genaugenommen gerade mal ein paar Stunden waren. Die Zeit verfliegt eben manchmal wie im Flug … Sie lachten viel und unterhielten sich über ihr bisheriges Leben. Sie wussten ja beide schon, dass sie die gleiche Krankheit hatten. Nämlich die sogenannte MS - die auch unter dem langen Wort Multiple Sklerose bekannt ist. Aber das war jetzt eigentlich nebensächlich. So fuhren sie durch den Schnee und manchmal war es auch Schneematsch …. Sie bogen von der Hauptstraße in eine Seitenstraße ein.

„So, da sind wir!", sagte Julia, als sie vor einem langgestreckten Wohngebäude ankamen. Julia betätigte ihre Fernbedienung und die Haustür öffnete sich automatisch. Sie rollten nun in das Gebäude. Im ganzen Haus Laura und Alexlag ein Duft von Weihnachtsplätzchen. Alex kam sich wie im Märchen vor: Er konnte sein Glück kaum fassen. „Ach Julia, bringst du uns einen neuen Bewohner?" fragte eine Frau, die am Rollator lief, „oder ist das etwa der Weihnachtsmann …?" Julia schmunzelte: „Nee, das ist Alex!" Julia und Alex fuhren mit dem Aufzug in den zweiten Stock in ihre Wohnung. „Ooh", entfuhr es Alex, als er in das weihnachtlich geschmückte Wohnzimmer hereinfuhr. In der Mitte des Zimmers stand ein kleiner Tannenbaum, er war mit Christbaumkugeln und Engeln geschmückt. Teeleuchten standen auf dem Sofatisch. Julia legte eine CD in den Player. Der Raum füllte sich mit dem Lied von John Lennon „Give Peace A Chance" … Julia und Alex saßen andächtig nebeneinander und schauten sich an.

Und so feierten Julia und Alex zusammen ihr erstes gemeinsames Weihnachtsfest. Jedes Jahr zu Weihnachten fahren sie seither zuerst in ihr Bistro und danach feiern sie gemeinsam Weihnachten unter ihrem geschmückten Baum.




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