Von Willy Brandt, dem großen Sozialdemokraten, wird folgender Satz überliefert:
"Fortschreibung der Vergangenheit ergibt noch keine Zukunft"
Trotz aller Reformen der Vergangenheit hat sich die
finanzielle Situation behinderter Menschen mit Assistenzbedarf nicht
verbessert, bei vielen sogar verschlechtert. Während im Europäischen
Jahr der Menschen mit Behinderungen 2003 allerorts Festreden
geschwungen wurden, bastelte die Rot/Grüne Koalition am neuen SGB XII,
das das bis dahin geltende Bundessozialhilfegesetz (BSHG) ersetzte. Das
SGB XII, seit dem 1. Januar 2005 geltend, brachte zumindest im Bereich
Einkommens- und Vermögensanrechnung für viele Menschen
Verschlechterungen mit sich. Im Einkommensbereich gab es für wenige
Menschen Verbesserungen, für viele andere jedoch Verschlechterungen. Die
Vermögensfreibeträge wurden für alle drastisch reduziert.
Wie soll sich ein Mensch wirtschaftlich entwickeln können,
wenn sein "Vermögen", sobald es 2600 € (plus 256,- € für jede Person,
der überwiegend Unterhalt gewährt wird) übersteigt, sofort für die
eigene Assistenz eingesetzt werden muss?
Vor dem Sozialgericht Heilbronn erstritt eine behinderte
Arbeitgeberin eine Erweiterung der Nichtanrechnung des Einkommens von
60 auf 75 % (so, wie es nach § 87 SGB XII möglich ist). Dies
veranlasste die Vertreterin des Leistungsträgers zu der Aussage "Was
wir nicht über das Einkommen kriegen, holen wir uns halt über das
Vermögen".
Andere Leistungsträger versuchen, assistenzabhängige
Menschen zu veranlassen, ihr Auto zu verkaufen, obwohl dann die Teilhabe
am Leben in der Gemeinschaft nicht mehr gewährleistet ist. Diesen
Versuch starten sie selbst, wenn das Auto mit öffentlichen Geldern
gefördert wurde.
Die Einkommens- und Vermögensanrechnung trägt wesentlich mit
dazu bei, dass Menschen mit Assistenzbedarf ihr Leben lang alleine –
ohne Partnerin bzw. Partner - bleiben. Welcher nicht behinderte Mensch
lässt sich auf eine Beziehung mit einem Behinderten ein, wenn er weiß,
dass er – nebst Kindern - beim Assistenzbedarf der behinderten
Partnerin bzw. des Partners den Rest seines Lebens in finanzielle
Geiselhaft genommen wird?
Wir kennen viele Beziehungen, die nicht zuletzt daran
zugrunde gingen. In Süddeutschland wurde trotz bereits versandter
Einladungen eine Hochzeit nach Warnungen aus dem Bekanntenkreis wieder
abgesagt. Der Bräutigam wollte nicht, dass sich die Braut wegen seines
Assistenzbedarfes von "Amts wegen" arm machen lassen musste.
Neben der Zumutbarkeitsprüfung einer Heimunterbringung und
der Bedarfsermittlung zeigen sich auch in der Einkommens- und
Vermögensanrechnung die ganze Brutalität, zu der die Verwaltung fähig
ist. Diese unterscheidet sich eklatant von den schönen Reden, die uns
aus der Politik entgegentönen. Wir hoffen, dass sie nicht wissen, was
sie tun. Denn das Andere wäre noch schlimmer!
Wir fordern, dass Chancengleichheit durch einkommens- und
vermögensunabhängige Nachteilsausgleiche endlich auch im
wirtschaftlichen Bereich gewährt wird!