Sozialgericht Mannheim
Az.: S 8 SO 653/13
Im Namen des Volkes
Urteil
in dem Rechtsstreit
- Kläger -
gegen
- Beklagte -
Die 8. Kammer des Sozialgerichts Mannheim
hat ohne mündliche Verhandlung am 13.10.2016 in Mannheim durch den Richter ..... als Vorsitzender
sowie den ehrenamtlichen Richter ..... und die ehrenamtliche Richterin ..... für Recht erkannt:
1. Die Beklagte wird verurteilt dem Kläger unter Abänderung des Bescheids vom 12.4.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.1.2013 in der Fassung des Bescheids vom 20.12.2013 Leistungen ohne Anrechnung von Einkommen zu gewähren.
2. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Höhe von Leistungen nach dem SGB XII und dabei insbesondere um die Anrechnung von Einkommen des Klägers ab 2012.
Der 1977 geborene Kläger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 100 und den Merkzeichen „G", „aG", „H", „RF" und „B". Im Jahr 2007 wurde er vom medizinischen Dienst der Krankenkasse in der Pflegestufe 3 eingestuft. Er hat einen rund um die Uhr Pflege- und Assistenzbedarf. Diesen deckt er durch von ihm selbst beschäftigte Pflegekräfte im Arbeitgebermodell, nachdem er lange Zeit einen Pflegedienst in Anspruch genommen hatte. Seit dem Bezug von Leistungen der Hilfe zur Pflege verzichtet er auf die Gewährung von gekürztem Pflegegeld. Er erhält von der Beklagten seit 1.9.2009 Leistungen in Form eines persönlichen trägerübergreifenden Budgets. Dabei wurden in dem Zeitraum vom 1.9.2010 bis 31.8.2012 gemäß dem Bescheid vom 10.8.2010 von der Beklagten Kosten i.H.v. 4201,74 € monatlich und in der Zeit ab 1.9.2012 gemäß dem Bescheid vom 9.10.2012 Kosten i.H.v. 2364,37 € monatlich für die Leistungen aus den Bereichen Teilhabe am Arbeitsleben, Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft und Hilfe zur Pflege erstattet.
Der Kläger arbeitet seit 1998 bei den Stadtwerken ..... und erzielte ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen inklusive Weihnachtsgeld i.H.v. 3509,13 €. Die einfache Wegstrecke dorthin beträgt für ihn etwa 18 km. Im November 2009 kaufte er ein Kraftfahrzeug (Kfz) im Wert von 37.814,39 € um die Fahrtstrecken zwischen seiner Wohnung und seiner Arbeitsstätte zu bewältigen. Dafür nahm er ein Darlehen in Höhe von 27814,39 € auf, wobei die Rückzahlungsraten 416,74 € monatlich betragen sollten.
Der Bescheid vom 10.8.2010 erging zunächst ohne die Berücksichtigung von Einkommen. Aufgrund der Erhöhung des Erwerbseinkommens des Klägers im Jahr 2011 wurde der Bescheid vom 10.8.2010 mit Bescheid vom 2.2.2011 dahingehend geändert, dass erstmals ein Einkommenseinsatz i.H.v. 321,22 € gefordert wurde. Im Jahr 2012 verbesserte sich das Erwerbseinkommen des Klägers weiter. Infolgedessen erging am 14.3.2012 ein Änderungsbescheid, in dem der Einkommenseinsatz des Klägers auf 441,09 € erhöht wurde.
Auf den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 14.3.2012 wurde dieser mit Bescheid vom 12.4.2012 aufgehoben und es erging am selben Tag ein weiterer Änderungsbescheid. Darin wurde festgestellt, dass der monatliche Einkommenseinsatz des Klägers 223 € betrage. Um diesen Betrag wurden die Leistungen des persönlichen Budgets gekürzt. Bei der Berechnung des einzusetzenden Einkommens wurde dabei vom Nettolohn unter anderem eine Pauschale für die Pkw-Nutzung i.H.v. 208 € abgezogen. Die Raten für den Autokredit seien zwar nachgewiesen, wurden jedoch nicht vom Nettoeinkommen abgezogen. Insgesamt wurden vom Einkommen des Klägers 932,09 € abgesetzt (Rollstuhlhaftpflicht, Vollkaskoversicherung für den Rollstuhl, private Haftpflichtversicherung, Hausratversicherung, Glasversicherung, Arbeitsmittelpauschale, Kfz-Pauschale für 40 km á 5,20 €, Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung). Die Einkommensgrenze wurde mit 1436,18 € berücksichtigt (728 € Grundbetrag und 708,18 € Kosten der Unterkunft, ohne Zentralheizung). Von dem Einkommen über der Einkommensgrenze i.H.v. 1041,86 € zog die Beklagte weitere 60 vom Hundert als Freiteile wegen persönlicher Verhältnisse ab, so dass noch Einkommen i.H.v. 456,34 € verblieben. Dieses Einkommen wurde noch mit dem gekürzten Pflegegeld in Höhe von monatlich 233,34 € verrechnet, so dass noch ein einzusetzender Betrag i.H.v. 223 € verblieb.
Mit Schreiben vom 1.5.2012 hielt der Kläger seinen Widerspruch vom 21.3.2012 aufrecht. Die Gesamtausgaben für die täglichen Fahrten zur Arbeit, die Aufwendungen für den Autokredit i.H.v. 416,74 € und die Aufwendungen für Fortbildungen seien vom Nettoeinkommen abzuziehen. Diesen wies die Beklagte mit Bescheid vom 16.1.2013 zurück. Nach der Durchführungsverordnung zu § 82 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) seien für die Kfz-Nutzung ein monatlicher Pauschalbetrag i.H.v. 5,20 € für jeden vollen Kilometer, den die Wohnung von der Arbeitsstätte entfernt liege, jedoch nicht mehr als 40 km, vom Einkommen abzusetzen. Mit diesem Pauschalsatz seien alle beruflich bedingten Kraftfahrzeugaufwendungen abgegolten. Ein Anspruch auf Erhöhung dieser Pauschalbeiträge bestehe auch dann nicht, wenn die tatsächlichen Kosten nachweislich über diese Beträge hinausgingen. Fortbildungskosten könnten grundsätzlich nicht abgesetzt werden. Eine Ausnahme liege nicht vor.
Mit seiner am 21.2.2013 zum Sozialgericht Mannheim erhobenen Klage macht der Kläger geltend, dass er im Jahr etwa 10.000 km von seiner Wohnung zur Arbeit zurücklege. Es würde nicht berücksichtigt, dass er behinderungsbedingt kein Vermögen ansparen und somit das Kfz nur über einen Kredit finanzieren könne. Das führe für ihn zu Folgekosten, da eine Kreditfinanzierung erfordere, dass er eine Vollkaskoversicherung abschließe. Zudem könne er das Fahrzeug nicht selbst führen, sondern es müsse durch einen Assistenten geführt werden. Die Versicherungsgesellschaft gehe demnach von sieben Fahrern unter 25 Jahren aus, was zu einem erheblich höheren Versicherungsbeitrag führe. Auch diese Kosten in Höhe von monatlich 123,29 € würden nicht anerkannt. Es würde ebenfalls nicht berücksichtigt, dass er für seine Pflege- und Assistenzkräfte Kosten zu tragen habe, die nicht durch das persönliche Budget abgedeckt würden, obwohl es sich um Kosten handele, die nur durch seine Pflegebedürftigkeit bedingt seien. Er müsse, wenn er seinen Wohnort für längere Zeit als für 24 Stunden verlasse, jeweils ein bis zwei Assistenzkräfte mitnehmen, für die er Reise- und Unterkunftskosten zu tragen habe. Dies belaste ihn durchschnittlich mit mindestens 100 € pro Monat. Auch die Kosten der Rechtsschutzversicherung würden eine Belastung für ihn darstellen, die zumindest mittelbar mit seiner Behinderung zusammenhinge, da er dadurch in erheblich höherem Maße als Menschen ohne eine schwere Behinderung insbesondere darauf angewiesen sei, seine Ansprüche gegen Sozialleistungsträger geltend machen zu können, was ihm ansonsten schwerlich möglich wäre. Die Beklagte habe auch nicht gewürdigt, dass schwerstpflegebedürftige Menschen höchstens 40 vom Hundert des Einkommens über der Einkommensgrenze einsetzen müssen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 12.4.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.1.2013 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 20.12.2013 zu verurteilen, ihm Leistungen ohne Anrechnung von Einkommen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Im Wesentlichen stützt sie sich auf ihren Vortrag im Widerspruchsbescheid. Zusätzlich macht sie geltend, dass Beiträge zur Rechtsschutzversicherung nicht angemessen seien, da bei Bedürftigkeit Prozesskostenhilfe geleistet würde. Was rechtliche Meinungsverschiedenheiten mit dem Sozialhilfeträger betreffe sei auf § 64 SGB X zu verweisen. Die Reise- und Unterkunftskosten für Pflege- und Assistenzkräfte seien vom trägerübergreifenden persönlichen Budget erfasst. Diese Kosten fielen unter die Leistungen der Teilhabe an der Gesellschaft und könnten übernommen werden, soweit sie notwendig seien. Der geltend gemachte
durchschnittliche Bedarf von 100 € pro Monat sei zu pauschal, fiktiv und unsubstantiiert, um wertmäßig insoweit in die Prüfung des § 87 SGB XII einfließen zu können. Vielmehr seien die entsprechenden Bedarfe in die Hilfeplangespräche einzubringen, so dass sie bei der Höhe des trägerübergreifenden persönlichen Budgets berücksichtigt werden könnten. Die Kosten für die Fortbildung der Assistenten seien in den vergangenen Abrechnungen voll anerkannt worden, soweit sie geltend gemacht worden seien. Weder die Kfz-Steuer noch die Vollkaskoversicherungsbeiträge seien im Rahmen des § 87 SGB XII als Belastung zu berücksichtigen. Steuern und Beiträge seien im Rahmen des § 82 Abs. 2 SGB XII zu prüfen. Hierunter würden jedoch nicht die Kfz-Steuer und Vollkaskoversicherungsbeiträge fallen. Zur Beilegung des Rechtsstreits schlug die Beklagte einen Vergleich dahingehend vor, dass weitere 20 vom Hundert Freiteile des Einkommens über der Einkommensgrenze in Ansatz gebracht würden (10 vom Hundert gemäß Rn. 87.16 und 10 vom Hundert gemäß Rn. 87.22 SHR). Das restliche Einkommen würde weiterhin mit dem gekürzten Pflegegeld verrechnet. Die Leistungen würden rückwirkend zum 1.9.2012 nachgezahlt. Die Verrechnung mit dem gekürzten Pflegegeld sei eine freiwillige Leistung der Beklagten zur Förderung des trägerübergreifenden persönlichen Budgets, auf die kein Anspruch bestehe. Der Kläger akzeptierte das Vergleichsangebot nicht.
Im weiteren Verlauf änderte die Beklagte den Bescheid vom 12.4.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.1.2013 mit Bescheid vom 20.12.2013 ab und gewährte dem Kläger weitere Leistungen, unter weiterer Freilassung von insgesamt 10 vom Hundert des Einkommens über der Einkommensgrenze.
In den weiteren Bewilligungszeiträumen teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass bis zum Abschluss des Rechtsstreits, weiterhin das Einkommen angerechnet würde und die einbehaltenen Beträge im Falle seines Obsiegens nachgezahlt würden.
Die Beteiligten erklärten sich mit Schreiben vom 27.4.2016 und 2.6.2016 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte sowie die bei der Beklagten geführten Verwaltungsakten des Klägers Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, da sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben.
Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage statthafte Klage (§ 54 Abs. 4 SGG) ist zulässig und begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf einkommensunabhängige Gewährung der bewilligten Leistungen. Die Bescheide der Beklagten sind daher rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.
Hilfen zur Gesundheit, Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, Hilfe zur Pflege, Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten und Hilfen in anderen Lebenslagen werden gemäß § 19 Abs. 3 SGB XII nach dem Fünften bis Neunten Kapitel dieses Buches geleistet, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern und, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels dieses Buches nicht zuzumuten ist. Gemäß § 82 Abs. 1 S. 1 SGB XII gehören zum Einkommen alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach diesem Buch, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen und der Renten oder Beihilfen nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz. Hierzu zählt grundsätzlich das Erwerbseinkommen des Klägers aus der Beschäftigung bei den Stadtwerken ......
Bei der Hilfe nach dem Fünften bis Neunten Kapitel ist jedoch gemäß § 85 Abs. 1 SGB XII der nachfragenden Person und ihrem nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner die Aufbringung der Mittel nicht zuzumuten, wenn während der Dauer des Bedarfs ihr monatliches Einkommen zusammen eine Einkommensgrenze nicht übersteigt, die sich ergibt aus 1. einem Grundbetrag in Höhe des Zweifachen der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28, 2. den Aufwendungen für die Unterkunft, soweit diese den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang nicht übersteigen und 3. einem Familienzuschlag in Höhe des auf volle Euro aufgerundeten Betrages von 70 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 für den nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner und für jede Person, die von der nachfragenden Person, ihrem nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner überwiegend unterhalten worden ist oder für die sie nach der Entscheidung über die Erbringung der Sozialhilfe unterhaltspflichtig werden. Diesen dürfte die Beklagte mit 1436,18 € richtig berechnet haben. Einwendungen wurden hierzu auch nicht vom Kläger erhoben. Ein Familienzuschlag ist bei ihm nicht vorzunehmen.
Das durchschnittliche monatliche Netto-Einkommen des Klägers übersteigt die Einkommensgrenze.
Der Einsatz des Einkommens unterhalb der Einkommensgrenze ist dem Kläger nicht zuzumuten. Die Aufbringung der Mittel kann gemäß § 88 Abs. 1 SGG, auch soweit das Einkommen unter der Einkommensgrenze liegt, verlangt werden, soweit von einem anderen Leistungen für einen besonderen Zweck erbracht werden, für den sonst Sozialhilfe zu leisten wäre, wenn zur Deckung des Bedarfs nur geringfügige Mittel erforderlich sind. Darüber hinaus soll in angemessenem Umfang die Aufbringung der Mittel verlangt werden, wenn eine Person für voraussichtlich längere Zeit Leistungen in einer stationären Einrichtung bedarf. Diese Voraussetzungen sind bei dem Kläger nicht erfüllt und wurden entsprechend auch nicht von der Beklagten bejaht.
Aber auch der Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze ist dem Kläger nach Auffassung der Kammer nicht zuzumuten. Soweit das zu berücksichtigende Einkommen die Einkommensgrenze übersteigt, ist die Aufbringung der Mittel nach § 87 Abs. 1 SGB XII nur in angemessenem Umfang zuzumuten. Die Regelung des § 87 bezieht sich allein auf den Teil dieses Einkommens, der die nach § 85 ermittelte Einkommensgrenze übersteigt; der Teil des Einkommens, der unterhalb dieser Einkommensgrenze liegt, ist lediglich in den Fällen des § 88 - u. U. auch zusätzlich - zu berücksichtigen.(Lücking in: Hauck/Noftz, SGB, 01/06, § 87 SGB XII, Rn. 5). Bei der Prüfung, welcher Umfang angemessen ist, sind nach S. 2 der Vorschrift insbesondere die Art des Bedarfs, die Art oder Schwere der Behinderung oder der Pflegebedürftigkeit, die Dauer und Höhe der erforderlichen Aufwendungen sowie besondere Belastungen der nachfragenden Person und ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen zu berücksichtigen. Bei schwerstpflegebedürftigen Menschen nach § 64 Abs. 3 SGB XII und blinden Menschen nach § 72 SGB XII ist nach S. 3 der Vorschrift ein Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze in Höhe von mindestens 60 vom Hundert nicht zuzumuten. Der Kläger ist schwerstpflegebedürftig, so dass ein Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze in Höhe von höchstens 40 vom Hundert zuzumuten ist. Dies sehen auch die Sozialhilferichtlinien des Landes Baden-Württemberg (SRH), welche auch von der Beklagten der Bewilligung zu Grunde gelegt werden, in Rn. 87.22/1 vor.
Auch bei Überschreiten der Einkommensgrenze ist also den in § 19 Abs. 3 SGB XII genannten Personen eine Aufbringung der Mittel im Rahmen der Selbsthilfe nur in angemessenen Umfang zumutbar. Die Angemessenheitsgrenze gilt dabei für alle Absätze des § 87 SGB XII. Diese Grenze bedeutet nicht, dass immer (nur) ein Anteil zu erbringen ist. Es kann je nach Konstellation sowohl die vollständige Kostenübernahme zugemutet werden als auch ein Einkommenseinsatz vollständig ausscheiden. Ein Ermessen kann hinsichtlich der Angemessenheitsgrenze nicht angenommen werden. Zwar spricht § 87 Abs. 1 SGB XII nur davon, dass die Aufbringung der Mittel zuzumuten ist, was eine Entscheidung darüber implizieren könnte, ob dies auch tatsächlich getan wird. Nach § 19 Abs. 3 SGB XII werden Leistungen aber überhaupt und zwingend nur insoweit gewährt, als den dort genannten Personen ein Einsatz ihres Einkommens oder Vermögens nicht zuzumuten ist. Es handelt sich bei dem „angemessenen Umfang" in § 87 SGB XII also um einen unbestimmten Rechtsbegriff (Gutzler in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 87 SGB XII, Rn. 19ff).
§ 87 Abs. 1 Satz 2 SGB XII enthält eine nicht abschließende („insbesondere") Aufzählung von Kriterien, die bei der Prüfung der Angemessenheit des Einkommenseinsatzes über der Einkommensgrenze zu berücksichtigen sind. Bei der Einbeziehung der Art des Bedarfs in die Prüfung der Angemessenheit ist insbesondere die Zielsetzung des jeweiligen Bedarfs zu berücksichtigen. Hinsichtlich dem Kriterium der Art und Schwere der Behinderung und der Pflegebedürftigkeit muss im konkreten Einzelfall geprüft werden, ob im Hinblick auf den jeweiligen Bedarf eine besondere Belastung besteht. Dies können sowohl finanzielle Belastungen als auch immaterielle Auswirkungen sein, z.B. die psychische Belastung bei einer Betreuung und Unterstützung im Kreis der Familie statt einer vollstationären Unterbringung. Die Dauer der Aufwendungen ist für die Angemessenheit insofern von Bedeutung, als kürzere Bedarfe regelmäßig eine höhere Kostenbeteiligung ermöglichen, was sich bereits aus der Wertung des § 87 Abs. 2 SGB XII ergibt. Dem Hilfebedürftigen wird hierbei nur kurzfristig ein erhöhter Einsatz abverlangt. Sofern es sich um Bedarfe mit einer Dauer von mehr als vier Monaten handelt, kommt ein geringerer Einsatz des Einkommens in Betracht, was sich an der Wertung des Absatzes 3 ablesen lässt. Zu berücksichtigen ist aber außerdem die Höhe des Bedarfs im Verhältnis zum überschießenden Einkommen. Ein nur geringer Bedarf, dessen Deckung einen angemessenen Einkommensrest belässt, kann auch zu einer längerfristigen Einkommensberücksichtigung führen. Es kann aber jedenfalls nicht bei höherem Bedarf generell auch ein höherer Einkommenseinsatz verlangt werden (Gutzler in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 87 SGB XII, Rn. 22ff).
Ein wichtiges Kriterium sind die besonderen Belastungen der nachfragenden Person und ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen. Besondere Belastungen können in vielfältiger Weise bestehen. Generell kann darauf abgestellt werden, ob die jeweilige Belastung im Rahmen einer angemessenen Lebensführung entstanden ist. Wenn es sich dann noch um eine über den notwendigen Lebensunterhalt (vgl. § 27a Abs. 1 SGB XII) hinausgehende Belastung handelt, der nicht bereits bei der Berechnung der Einkommensgrenze Rechnung getragen wird, kann eine besondere Belastung angenommen werden. Belastungen, die nicht mehr auf eine angemessene Lebensführung zurückzuführen sind, sondern bei denen es sich um Luxusaufwendungen handelt, kommen als besondere Belastungen jedoch nicht in Betracht. Nach Eintritt des Bedarfsfalles sind neu eingegangene Belastungen kritisch zu prüfen. Auch diese müssen aber nur einer wirtschaftlichen und vernünftigen Lebenssituation in der konkreten Bedarfslage entsprechen, eine Unabweisbarkeit ist nicht zu fordern. Insbesondere bei längerdauernden Bedarfen kann auch eine sinnvolle Anschaffung während der Bedarfszeit als besondere Belastung angesehen werden. Es darf allerdings jedenfalls nicht der bisherige Lebensstandard überschritten werden. Als besondere Belastungen sind unter anderem anzuerkennen: angemessene Aufwendungen für Familienereignisse (Geburten, Hochzeiten, Todesfälle, in der Familie übliche religiöse Feiern), Kosten einer Rechtsverfolgung (sofern sie nicht mutwillig ist), angemessene Risikovorsorge (bei Beziehern von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII bereits in deren Leistungen enthalten, § 33 SGB XII, daher nicht zu berücksichtigen), Bildung angemessener Rücklagen für notwendige Reparaturen (strenger Prüfungsmaßstab) und angemessene Zins- und Tilgungsleistungen für selbstgenutzte angemessene Immobilien, soweit eine Tilgungsfreistellung nicht möglich ist (Gutzler in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 87 SGB XII, Rn. 26ff). In der Praxis der Sozialhilfeträger sind im Allgemeinen folgende besondere Belastungen anerkannt (vgl. Rn. 18.09 SRH): Schuldverpflichtungen, die vor Eintritt des Bedarfs eingegangen worden sind oder bei länger andauerndem Bedarf später eingegangen werden, soweit deren Begründung die Gesichtspunkte wirtschaftlicher Lebensführung nicht verletzt, so insbesondere Abzahlungsverpflichtungen aus Ratenkäufen etc.; während des Bedarfs eingegangene Verpflichtungen unterliegen dabei einer strengeren Prüfung, erforderliche Aufwendungen im Zusammenhang mit Familienereignissen, z. B. Geburt, Heirat, Tod, Grabpflege und notwendige Friedhofsgebühren, Fahrtkosten für den Besuch naher Angehöriger, erforderliche Aufwendungen bei Krankheit, Pflegebedürftigkeit oder Behinderung, z. B. für Arzneimittel, Haushaltshilfen, Pflegepersonen, soweit sie nicht als Sozialhilfeleistungen zu gewähren wären, erforderliche Aufwendungen für sonstige gerechtfertigte Zwecke, z. B. Fort- und Weiterbildung, Rechtsverfolgung, Anwalts- und Gerichtsgebühren sowie Schul- und Kindergartengebühren (vgl. Lücking in: Hauck/Noftz, SGB, 01/06, § 87 SGB XII, Rn. 12).
Nach Rn. 87.16 der SRH ist es im Hinblick auf § 16 SGB XII in der Regel geboten, auch bei der Heranziehung des Einkommens über der Einkommensgrenze die Familienverhältnisse des Leistungsberechtigten zu berücksichtigen. Vom verbleibenden Einkommen sind in der Regel danach bei Alleinstehenden und Haushalten bis zwei Personen 0 bis 20 vom Hundert freizulassen. In der Regel hat sich die Freilassung an den unteren Prozentsätzen der jeweiligen Gruppe zu orientieren. Beim Ansatz höherer Sätze innerhalb des vorgegebenen Rahmens soll darauf Rücksicht genommen werden, ob es sich um jüngere oder ältere Kinder, um Kinder mit oder ohne eigenes Einkommen oder um Tatbestände handeln, die bei der Hilfe zum Lebensunterhalt zu einem erhöhten oder Mehrbedarf führen würden. Gemäß Rn. 18.17 der SRH wird die Höhe des Eigenanteils vor allem von zwei Gesichtspunkten beeinflusst: sofern die Erreichung des sozialpolitischen zwecks der Sozialhilfe durch eine weitgehende Eigenbeteiligung verhindert oder wesentlich erschwert würden, so kann großzügig verfahren werden. Dabei sind insbesondere Art oder Schwere der Behinderung oder Pflegebedürftigkeit zu berücksichtigen. Haben der Leistungsberechtigte oder seine in § 19 Abs. 3 SGB XII genannten Angehörigen den Eintritt des Bedarfs ganz oder teilweise verschuldet, kann je nach Größe der Familie die Inanspruchnahme um 5 bis 20 vom Hundert erhöht werden.
Gemäß 87.21 der SRH ist der Eigenanteil in der Regel niedriger festzusetzen sofern die Aufwendungen wiederholt notwendig sind. In manchen Fällen werden die Grundsätze gelten können, die bei länger dauernden Aufwendungen angebracht sind (Rn. 87.23). Bei länger dauernden Aufwendungen (mehr als sechs Monate) kann im allgemeinen das übersteigende Einkommen zusätzlich um 10 vom Hundert geschont werden. Geht der Bedarf auf ein Ereignis zurück, durch welches die Gesundheit als Lebensgrundlage der nachfragenden Personvoraussichtlich auf Dauer beeinträchtigt wird (zum Beispiel schwerer Unfall, lebensgefährliche Erkrankung, schwere chronische Krankheit, schwere Behinderung), so kann nach Lage des Einzelfalls der freizulassende Betrag bis zu 30 vom Hundert des übersteigenden Einkommens ausmachen.
Bei Berücksichtigung der Freilassungen nach den Rn. 87.06 - 87.22/1 SRH beträgt der Gesamtbetrag max. 100 vom Hundert. Beim Kläger können zur Überzeugung der Kammer über den Grundfreibetrag in Höhe von 60 vom Hundert des Einkommens über der Einkommensgrenze hinaus, weitere 10 vom Hundert nach Rn 87.16 SRH, wie dieser auch von der Beklagten vorgenommen wurde, aber auch weitere 30 vom Hundert nach 87.22 SRH, als in diesem Einzelfall angemessen, berücksichtigt werden. Hierbei berücksichtigte die Kammer insbesondere die über 6 Monate anhaltende Belastung des Klägers mit den Aufwendungen für das Kfz und der Rechtsschutzversicherung. Der Kläger ist unverschuldet schwerstpflegebedürftig, wohnt alleine und geht einer geregelten Beschäftigung bei den Stadtwerken Heidelberg nach. Der Aufwand für Besuchsfahrten zu seiner Familie berechtigt nach Auffassung der Kammer schon alleine eine weitere Freilassung von 10 vom Hundert des Einkommens über der Einkommensgrenze. Die Aufwendungen des Klägers sind auch dauerhaft notwendig, da seine Behinderungen dauerhaft sind und er insbesondere noch mitten im Berufsleben steht. Der Bedarf geht dabei vollständig auf seine schwere Behinderung zurück, wie zum Beispiel, dass er erhöhte Versicherungsbeiträge für die Nutzung des Kfz zahlen muss. Da er auf die Führung des Kfz durch die Assistenzkräfte angewiesen ist, geht die Versicherungsgesellschaft von sieben Fahrern unter 25 Jahren aus und bemisst die Beiträge entsprechend höher. Auch ist die Kammer davon überzeugt, dass der Kläger aufgrund seiner Behinderung in besonderem Maße auf die professionelle Unterstützung in Rechtsfragen und daher auf eine Rechtschutzversicherung angewiesen ist. Der Verweis auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Beratungs-/Verfahrens-/Prozesskostenhilfe geht hier fehl. Insbesondere geht die Kammer dabei davon aus, dass es bei Erstberatungen häufiger vorkommt, dass Anwälte aufgrund von Arbeitsüberlastung die Bearbeitung eines Anliegens eines Mandanten mit Beratungsschein eher ablehnen oder gegebenenfalls nur halbherzig führen. Ob überhaupt ein Anspruch des Klägers auf die entsprechende Hilfe, angesichts seines Lohnes, überhaupt bestehen würde, ist zudem sehr fraglich. Sozialrechtliche Fragestellungen sind auch nicht so einfach, als dass der Kläger die Verfahren selbst führen könnte und daher angesichts der Kostenfreiheit im Sozialverwaltungs- und -gerichtsverfahren höchstens geringe Aufwendungen hätte. Der Kläger ist ebenfalls aufgrund der Darlehensraten für sein Kfz und der Versicherungsbeiträge besonders belastet. Diese sind auch im Rahmen seiner Lebensführung angemessen. Er geht einer geregelten Beschäftigung bei den Stadtwerken Heidelberg nach und benötigt hierfür ein Kfz, um zur Arbeit zu gelangen. Angesichts der Höhe seines Einkommens sind der Kaufpreis und die daraus resultierenden Darlehensbelastungen nicht unangemessen hoch. Die Beiträge für die Vollkaskoversicherung und die Darlehenszinsen werden auch nicht durch die Km-Pauschale, wie von der Beklagten vorgetragen, abgegolten. Vielmehr handelt es sich hierbei um einen atypisch höheren Aufwand. Aufgrund seiner Behinderung war es dem Kläger nicht möglich einen entsprechenden Betrag von seinem Lohn anzusparen um das Kfz vollständig bezahlen zu können. Er konnte mithin nicht umher, den Betrag zu finanzieren. Es handelt sich dabei nicht um Luxusaufwendungen, wobei die Kammer davon überzeugt ist, dass der Kläger auch ein entsprechendes Fahrzeug benötigt, um seine Hilfsmittel damit transportieren zu können.
Nach alldem ist dem Kläger der Einsatz seines Einkommens nicht zuzumuten und die Leistungen daher unabhängig von seinem Einkommen zu erbringen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtsmittelbelehrung
Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Landessozialgericht Baden-Württemberg, Hauffstr. 5, 70190 Stuttgart - Postfach 10 29 44, 70025 Stuttgart -, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist bei dem Sozialgericht Mannheim, P 6, 20-21, 68161 Mannheim, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.
Die Berufungsschrift muss innerhalb der Monatsfrist bei einem der vorgenannten Gerichte eingehen. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.