Selbstbestimmtes Leben in Villingen-Schwenningen
Gleich drei Veranstaltungen, bei denen der "Marsch aus den Institutionen"
halt machte, gab es am 27. und 28. April 2005 in Villingen-Schwenningen.
Organisiert wurden sie vom Diakonischen Werk in Kooperation mit der
Berufsakademie und der Selbsthilfekontaktstelle.
Gut besucht war die Vortragveranstaltung am Mittwochnachmittag im Sitzungssaal
des Landratsamtes. Im ersten Beitrag nach der Begrüßung durch
einen Vertreter des Landratsamtes sprach Elke Bartz über den Stellenwert
des selbstbestimmten Lebens. "Je mehr Hilfe bei der Alltagsgestaltung
benötigt wird, desto größer ist in der Regel die Fremdbestimmung
durch andere", erklärte sie. Seine Assistenz über das
Arbeitgebermodell zu organisieren hieße ein größtmögliches
Maß an Selbstbestimmung (wieder-) zu erlangen. "Keiner kann
vollkommen selbstbestimmt und ohne Rücksicht auf andere leben",
so Bartz. Die Einschränkungen der Selbstbestimmung dürften
jedoch auch bei behinderten Menschen nicht mehr als das übliche
Maß betragen.
Im
zweiten Referat des Tages zeigte Stefan Göthling, Geschäftsführer
von People first Deutschland auf, dass insbesondere Menschen mit Lernschwierigkeiten
die Fähigkeit, selbst über ihr eigenes Leben zu bestimmen,
abgesprochen wird. "Wir wissen doch selbst was wir wollen und brauchen",
meinte Göthling. "Wir brauchen halt lediglich Unterstützung
dabei, unsere Wünsche umzusetzen". Dabei helfe die persönliche
Zukunftsplanung, die er sehr eindrucksvoll - mit Beispielen untermauert
- darstellte. Die regen Nachfragen bewiesen das große Interesse
an den Themen.
Abends ging es im Rahmen einer Podiumsdiskussion, die vom ehemaligen
Mitglied des Bundestages, Christa Lörcher, moderiert wurde, um
eine Vertiefung des Themas. Die Beiträge aus dem Publikum - das
aus über 120 Personen bestand - zeigten, dass auch bauliche Barrieren
am selbstbestimmten Leben hindern können. An dieser Diskussion
nahmen Elke Bartz und Stefan Göthling ebenfalls teil. Ergänzt
wurde das Podium durch Michéle Godest, Mitarbeiterin der Diakonie,
die die Beratungs- und Unterstützungsangebote der Diakonie vorstellte,
sowie durch Werner Schaumann vom Arbeitskreis Selbsthilfegruppen. Dieser
zeigte an seinem persönlichen Beispiel, wie hoch der Stellenwert
von Selbsthilfeorganisationen bei der Bewältigung von Problemen
als Ergänzung zu so genannten Professionellen ist.
Der
Leiter des Sozialamtes, Stauch, berichtete, dass durch die Auflösung
des Landeswohlfahrtsverbandes zum Jahresbeginn die Leistungen der Eingliederungshilfe
in den Zuständigkeitsbereich der kommunalen Träger übergegangen
sind. Man werde seitens der Behörde mehr auf personenzentrierte
Leistungen setzen, als dies zuvor gehandhabt wurde. Dabei dürfe
jedoch der Kostenfaktor nicht außer Acht gelassen werden, denn
die Eingliederungshilfe stünde mit jährlich 20 Millionen Euro
zu Buche. Elke Bartz betonte daraufhin, dass gegen Einsparungen immer
dann nichts einzuwenden sei, wenn nicht an den originären Leistungen
gekürzt würde. Die Gelder müssten weitaus mehr als seither
in ambulante Strukturen fließen, die zwar nicht in jeder einzelnen
Situation, aber "unter dem Strich" Einsparungen mit sich brächten.
Am nächsten Morgen hielt Elke Bartz dann drei Stunden Unterricht
vor einer Klasse der Berufsakademie. Sie definierte die Begriffe der
Selbstbestimmung und Assistenz. Außerdem stellte sie das Arbeitgebermodell
vor. Von den Schülerinnen und Schülern kamen durchaus kritische
Rückfragen. Einige meinten, es gäbe wohl immer Menschen mit
Behinderungen, die in Heimen leben wollten oder müssten. Bartz
widersprach: "Wenn ausreichende und verschiedene ambulante Strukturen
vorhanden sind, muss niemand in einer Anstalt leben". Eine Schülerin
meinte, Selbstbestimmung sei zwar erstrebenswert. Doch wenn sich ein
Mensch mit einer "geistigen Behinderung" nur schlecht äußern
könnte oder die Tagesform nicht stimme, sei angesichts des engen
Personalschlüssels einfach nicht die Zeit vorhanden, dem behinderten
Menschen Selbstbestimmung durch Wahlmöglichkeiten zu gewähren.
Auch hier ergänzte Bartz, dass ambulante Hilfen wesentlich mehr
Flexibilität erlaubten als die engen Anstaltsstrukturen.
Zum Artikel des Schwarzwälder
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