Az.: B 3 P 20/00 R
BUNDESSOZIALGERICHT
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
.............................
Klägerin und Revisionsklägerin,
Prozeßbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Gert Schöppler, Mathias Pleus, Peter Stephan, Leonhard Steigmeier und Norbert Schiweck, Mittlerer Graben 54, 97980 Bad Mergentheim,
g e g e n
Techniker Krankenkasse-Pflegeversicherung,
Bramfelder Straße 140, 22305 Hamburg,
Beklagte und Revisionsbeklagte.
Der 3. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am 13. März 2001 durch den Vorsitzenden Richter Dr. L a d a g e, die Richter Dr. U d s c h i n g und S c h r i e v e r sowie die ehrenamtliche Richterin W i l k e n s und den ehrenamtlichen Richter B u s c h für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin werden die Urteile des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom 27. Januar 2000 und des Sozialgerichts Potsdam vom 10. Mai 1999 geändert.
Der Bescheid der Beklagten vom 30. Juli 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 1998 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin das mit Bescheid vom 19. April 1995 gewährte Pflegegeld für die Zeit ab 1. August 1998 nachzuzahlen.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in allen Rechtszügen zu erstatten.
Gründe:
I.
Es ist streitig, ob die beklagte Pflegekasse berechtigt war, das der Klägerin nach der Pflegestufe II gewährte Pflegegeld wegen der Verweigerung der Zustimmung zu einer erneuten ärztlichen Untersuchung ab 1. August 1998 nicht mehr auszuzahlen.
Die 1953 geborene Klägerin ist Mitglied der Beklagten. Sie leidet an einer angeborenen Querschnittlähmung (spina bifida) und ist deswegen auf einen Rollstuhl angewiesen. Kurze Wege kann sie noch mit Hilfe von Unterarmstützen zurücklegen. Sie wird von ihrem Ehemann gepflegt. Trotz der Behinderung ist sie aber seit langer Zeit berufstätig. Seit März 1993 erhielt die Klägerin wegen Schwerpflegebedürftigkeit Pflegegeld in Höhe von 400 DM monatlich nach den §§ 53 ff Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in ihrer bis zum 31. März 1995 geltenden Fassung (aF). Grundlage war ein sozialmedizinisches Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Berlin vom 22. Juli 1993. Darin bescheinigt der Gutachter Dr. Westendorf der Klägerin Schwerpflegebedürftigkeit wegen einer neuro-orthopädischen Dauerbehinderung bei der Besserungsmöglichkeiten nicht erkennbar seien. Deshalb werde auch keine Nachuntersuchung empfohlen.
Mit Inkrafttreten der Vorschriften des Sozialgesetzbuchs Elftes Buch (SGB XI) über die soziale Pflegeversicherung zum 1. April 1995 wurde die Klägerin in die Pflegestufe II gesetzlich übergeleitet. Sie bezog seitdem von der Beklagten Pflegegeld in Höhe von 800 DM monatlich (Bescheid vom 19. April 1995). Da Dr. Honecker vom MDK Berlin im Hinblick auf die Berufstätigkeit (Vollzeitbeschäftigung) der Klägerin langfristig eine Untersuchung gemäß § 18 SGB XI zur Überprüfung des Umfangs des Pflegebedarfs für erforderlich hielt (Vermerk vom 5. Dezember 1995), bemühte sich die Beklagte seit Anfang 1996, die Klägerin durch den MDK in ihrer Wohnung erneut untersuchen und begutachten zu lassen, um festzustellen, ob die Einstufung in die Pflegestufe II weiterhin gerechtfertigt ist. Die Klägerin lehnte dies jedoch wiederholt ab. Sie verwies darauf, dass bei ihr ein Dauerzustand vorliege, der eine Besserung und damit eine Reduzierung des Pflegebedarfs ausschließe. Eine erneute ärztliche Untersuchung sei daher überflüssig. Ein neues Gutachten könne – soweit erforderlich – nach Aktenlage erstellt werden.
Nachdem die Klägerin auch einen letzten Untersuchungstermin am 30. Juli 1998 abgelehnt hatte, stellte die Beklagte die Zahlung des Pflegegeldes ab 1. August 1998 aufgrund der fehlenden Mitwirkung gemäß § 18 SGB XI iVm § 66 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil (SGB I) ein (Bescheid vom 30. Juli 1998; Widerspruchsbescheid vom 11. Dezember 1998). Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin habe es zu Unrecht abgelehnt, sich in häuslicher Umgebung begutachten zu lassen. Sie sei berechtigt zu prüfen, ob die Voraussetzungen der Pflegestufe II weiterhin gegeben seien. Dies gelte auch, soweit - wie hier – ein Versicherter aufgrund der generellen Regelung des Art 45 Pflege-Versicherungsgesetz (PflegeVG) mit Wirkung ab 1. April 1995 allein wegen des bisherigen Leistungsbezugs nach den §§ 53 ff SGB V aF, also ohne Prüfung des konkreten Pflegebedarfs nach den §§ 14 und 15 SGB XI, in die Pflegestufe II übergeleitet worden sei. Die Untersuchung im Wohnbereich könne nur unterbleiben, wenn aufgrund eindeutiger Aktenlage festgestellt werden könne, ob die Voraussetzungen der Pflegebedürftigkeit weiterhin erfüllt seien und welche Pflegestufe vorliege. Nach Mitteilung des MDK sei aber eine Begutachtung nach Aktenlage wegen unzureichender Angaben zum tatsächlichen Pflegebedarf im Attest des behandelnden Arztes Dr. Gombert vom 10. März 1998 nicht möglich und eine Untersuchung in häuslicher Umgebung daher unumgänglich. Durch ihr Verhalten verhinderte die Klägerin die Aufklärung des Sachverhalts, so dass – auch aufgrund der Berufstätigkeit der Klägerin – Zweifel bestünden, ob die Voraussetzungen der Pflegestufe II jetzt noch gegeben seien.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin geltend gemacht, aufgrund der bestandsschützenden Regelung des Art 45 PflegeVG scheide eine Herabstufung in die Pflegestufe I aus Rechtsgründen von vornherein aus. Abgesehen davon sei die Einstufung in die Pflegestufe II aber nach wie vor zutreffend. Diese Feststellung könne die Beklagte auch ohne erneute ärztliche Untersuchung treffen. Die Aktenlage sei insoweit eindeutig. So sei bereits im Gutachten des MDK vom 22. Juli 1993 festgestellt worden, dass Besserungsmöglichkeiten nicht erkennbar seien. Auch aus dem Attest des Dr. Gombert vom 10. März 1998 ergebe sich, dass im Vergleich zum Jahre 1993 keine Verbesserung ihres Gesundheitszustands eingetreten sei. Die Ablehnung einer erneuten Untersuchung sei daher gerechtfertigt.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 10. Mai 1999), das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 27. Januar 2000). Zur Begründung hat es ua ausgeführt, die Untersuchung und Begutachtung durch den MDK sei zur Feststellung einer wesentlichen Änderung des Pflegebedarfes erforderlich und rechtlich zulässig gewesen. Die geforderte Mitwirkung an einer solchen Untersuchung habe nicht die Grenzen der Mitwirkungspflicht (§ 65 SGB I) überschritten. Das ärztliche Attest des Dr. Gombert habe nicht hinreichend verdeutlicht, welcher pflegerischen Hilfe mit welchem Zeitaufwand die Klägerin derzeit bedürfe. Die Klägerin habe sich daher zu Unrecht geweigert, der Aufforderung zur erneuten Untersuchung nachzukommen.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 18 Abs 2 SGB XI und 66 Abs 1 SGB I sowie des Art 45 PflegeVG.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des LSG für das Land Brandenburg vom 27. Januar 2000 und des SG Potsdam vom 10. Mai 1999 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30. Juli 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr das Pflegegeld nach der Pflegestufe II ab 1. August 1998 auszuzahlen,
hilfsweise,
den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach den §§ 124 Abs 2, 153 Abs 1 und 165 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
II
.
Die Revision der Klägerin ist begründet. Die Entscheidung der Beklagten, die Zahlung des Pflegegeldes ab 1. August 1998 wegen fehlender Mitwirkung der Klägerin einzustellen, ist rechtswidrig; denn die Klägerin war nicht verpflichtet, sich erneut ärztlich untersuchen zu lassen.
A. Die erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) ist zulässig. Allerdings hätte es zur Durchsetzung des Begehrens an sich ausgereicht, lediglich eine isolierte Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) zu erheben. Mit der angestrebten Aufhebung des Einstellungsbescheides für Vergangenheit und Zukunft wäre der – seit dem 1. August 1998 suspendierte – Leistungsbewilligungsbescheid vom 19. April 1995 wieder uneingeschränkt anzuwenden gewesen, dh die bewilligte Leistung hätte rückwirkend ab dem Zeitpunkt der Zahlungseinstellung nachgezahlt werden müssen, auch ohne das dies im Urteilstenor ausdrücklich angeordnet wird. Die mit der Anfechtungsklage verbundene Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG), die auf die zusätzliche Verurteilung der Beklagten zur Auszahlung der ab 1. August 1998 fällig gewordenen Beträge gerichtet ist, erweist sich deshalb als im Grunde überflüssig. Dennoch hat der Senat die Leistungsklage nicht als unzulässig angesehen. Er hat das Rechtsschutzinteresse bejaht, weil der begehrte Ausspruch zur Klarstellung der Rechtslage dient und der Klägerin einen Titel mit vollstreckungsfähigem, die sofortige Durchsetzung des Auszahlungsanspruchs ermöglichendem Inhalt verschafft (so auch BSGE 76, 16, 17 = SozR 3-1200 § 66 Nr 3).
B. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 30. Juli 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 1998 ist rechtswidrig. Der Klägerin steht deshalb ein Anspruch auf Nachzahlung des mit Bescheid vom 19. April 1995 bewilligten Pflegegeldes für die Zeit ab 1. August 1998 zu. Die Voraussetzungen des § 18 Abs 2 Satz 1 und 5 SGB XI für eine wiederholte Untersuchung der Klägerin durch den MDK in ihrem Wohnbereich haben nicht vorgelegen.
1. Nach § 18 Abs 1 SGB XI haben die Pflegekassen durch den MDK prüfen zu lassen, ob die Voraussetzungen der Pflegebedürftigkeit erfüllt sind und welche Stufe der Pflegebedürftigkeit vorliegt (Satz 1). Im Rahmen dieser Prüfungen hat der MDK auch Feststellungen darüber zu treffen, ob und in welchem Umfang Maßnahmen zur Beseitigung, Minderung oder Verhütung einer Verschlimmerung der Pflegebedürftigkeit einschließlich der medizinischen Rehabilitation geeignet, notwendig und zumutbar sind (Satz 2, 1. Halbsatz). Gemäß § 18 Abs 2 SGB XI kann eine Pflegekasse beantragte Leistungen der sozialen Pflegeversicherung verweigern, wenn der Versicherte sein Einverständnis für eine Feststellung der Voraussetzungen der Pflegebedürftigkeit und der einschlägigen Pflegestufe notwendige Untersuchung des MDK, die grundsätzlich in seinem Wohnbereich stattzufinden hat (Satz 1), nicht erteilt (Satz 2). Die §§ 65 und 66 SGB I bleiben dabei unberührt (Satz 3). Die Untersuchung im Wohnbereich des Pflegebedürftigen kann allerdings ausnahmsweise unterbleiben, wenn aufgrund einer eindeutigen Aktenlage das Ergebnis der medizinischen Untersuchung bereits feststeht (Satz 4). Die Untersuchung ist in angemessenen Zeitabständen zu wiederholen (Satz 5).
Die Bestimmungen des § 18 Abs 1 und Abs 2 Satz 1 SGB XI über Art, Form und Umfang einer Untersuchung im Rahmen der sozialen Pflegeversicherung enthalten eine Sonderregelung zu der allgemeinen Bestimmung des § 62 SGB I über die Mitwirkung des Versicherten an ärztlichen und psychologischen Untersuchungen im Rahmen sozialversicherungsrechtlicher Rechtsverhältnisse. Die Sonderregelung besteht darin, dass sich ein Versicherter im Rahmen der sozialen Pflegeversicherung grundsätzlich in seinem Wohnbereich untersuchen lassen muss, Untersuchungen in der Arztpraxis oder im Krankenhaus also prinzipiell nicht ausreichen. Die Grenzen der Mitwirkungspflichten des Versicherten und die Folgen fehlender Mitwirkung unterscheiden sich dagegen nicht. Sie bestimmen sich auch nach den §§ 65 und 66 SGB I, wie die Verweisung des § 18 Abs 2 Satz 3 SGB XI auf diese Vorschriften zeigt. Gemäß § 66 Abs 1 SGB I kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder – im Falle bereits erfolgter Bewilligung – entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistungen nicht nachgewiesen sind, wenn derjenige, der eine Sozialleistung beantragt hat oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62 oder 65 SGB I nicht nachkommt und hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert wird.
Die Regelung des § 18 Abs 2 Satz 2 SGB XI, nach der die Pflegekasse eine beantragte Leistung verweigern kann, wenn der Versicherte sein Einverständnis mit einer Untersuchung durch den MDK in seinem Wohnbereich nicht erteilt, konkretisiert dies noch einmal für die Pflegeversicherung, allerdings nur für den Fall der Leistungsbewilligung; die Pflegekasse kann darüber hinaus nach den §§ 65 Abs 1 und 66 Abs 1 SGB I bei fehlendem Einverständnis des Versicherten nicht nur beantragte Leistungen versagen, sondern im Rahmen von Überprüfungsverfahren (vgl hier insbesondere die Wiederholungsuntersuchung nach § 18 Abs 2 Satz 5 SGB XI) auch bewilligte Leistungen einstellen.
Nach § 65 Abs 1 SGB I bestehen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 64 SGB I nicht, wenn ihre Erfüllung nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Sozialleistung oder ihrer Erstattung steht (Nr 1), ihre Erfüllung dem Betroffenen aus einem wichtigen Grund nicht zugemutet werden kann (Nr 2) oder der Leistungsträger sich durch einen geringeren Aufwand als der Antragsteller oder Leistungsberechtigte die erforderlichen Kenntnisse selbst beschaffen kann (Nr 3). Die Regelung des § 18 Abs 2 Satz 4 SGB XI, Untersuchungen im Wohnbereich könnten bei „eindeutiger Aktenlage" unterbleiben, ist ebenfalls nur eine konkretisierende Klarstellung, weil sich dies schon aus § 65 Abs 1 Nrn 2 und 3 SGB I ergibt. Der Wortlaut „kann" bedeutet nicht, dass den Pflegekassen ein Recht zustünde, nach ihrem Ermessen eine Untersuchung anzuordnen, obwohl das Ergebnis nach der Aktenlage bereits feststeht. Wegen des mit der Untersuchung verbundenen Eingriffs in die Intimsphäre kann der Leistungsberechtigte ohne Rechtsnachteile seine Einwilligung verweigern, wenn die Untersuchung zur Entscheidung über den Leistungsbezug nicht erforderlich ist.
2. Eine Wiederholungsuntersuchung war zur Feststellung der Leistungsberechtigung der Klägerin nicht erforderlich. Rechtsgrundlage für die ins Auge gefaßte Entscheidung einer Pflegekasse, eine Leistungsbewilligung nach dem SGB XI zu Lasten des Pflegebedürftigen bei veränderten rechtlichen oder tatsächlichen Umständen für die Zukunft abzuändern, kann lediglich § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) sein. Nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlaß eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Diese Voraussetzungen waren im vorliegenden Fall nicht erfüllt und auch durch eine wiederholte Untersuchung und Begutachtung durch den MDK nicht zu erfüllen.
a) Ein Vorgehen der Beklagten nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB XI war allerdings nicht von vornherein ausgeschlossen, weil die Zuerkennung der Pflegestufe II auf dem Bezug krankenversicherungsrechtlicher Leistungen wegen Schwerpflegebedürftigkeit nach den §§ 53 ff SGB V aF bis zum 31. März 1995 beruht, also ein Fall der gesetzlichen, vom konkreten Umfang des Pflegebedarfs nach den §§ 14 und 15 SGB XI unabhängigen Überleitung eines Versicherten in die Pflegestufe II gemäß Art 45 PflegeVO vorliegt.
Art 45 PflegeVO schließt nicht – im Sinne einer generellen Bestandsschutzregelung – die Aufhebung eines Bescheides über die Weitergewährung von Pflegegeld nach der Pflegestufe II gemäß § 48 SGB X aufgrund einer nachträglichen wesentlichen Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse aus. Ein solcher allgemeiner Ausschluß ist bereits dem Wortlaut des Art 45 PflegeVO nicht zu entnehmen. Die Vorschrift regelt lediglich, daß eine erneute Antragstellung bei Bezug von Leistungen wegen Schwerpflegebedürftigkeit nach den §§ 53 ff SGB V aF für die Gewährung von Leistungen ab 1. April 1995 nicht erforderlich ist und diese nach der Pflegestufe II, auf Antrag und bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen auch nach der Pflegestufe III, gewährt werden. Auch die Entstehungsgeschichte des Art 45 PflegeVO spricht nicht dafür, dass hiermit spätere Abänderungen zu Lasten der Versicherten, die auch bei dem Pflegegeld nach § 57 SGB V aF zulässig waren, in Zukunft allgemein ausgeschlossen sein sollten. Die Überleitungsvorschrift sollte lediglich unnötige Anträge der Leistungsbezieher ersparen und eine Arbeitserleichterung für die Pflegekassen und den MDK bewirken, als zum 1. April 1995 das Leistungsrecht der sozialen Pflegeversicherung in Kraft trat. Die gesetzliche Zuordnung zur Pflegestufe II beruhte darauf, dass nach den Erfahrungen der Vergangenheit die große Mehrzahl der Pflegebedürftigen, die Leistungen nach den §§ 53 ff SGB V aF erhielten, vom Hilfebedarf her der neuen Pflegestufe II oder sogar der Pflegestufe III zuzuordnen waren. Diesen Einschätzungen der Ärzte und Pflegekräfte sollte die Überleitungsvorschrift gerecht werden (vgl Begründung des aufgrund der Ausschußberatung geänderten und wesentlich erweiterten Art 45 BT-Drucks 12/5952 S 60, zu Art 32 des Entwurfs).
Mit der pauschalen Überführung aller Leistungsempfänger nach den §§ 53 ff SGB V aF in die Pflegestufe II hat der Gesetzgeber bewußt in Kauf genommen, dass in Einzelfällen auch solche Versicherte in den Genuß der Leistungen nach der Pflegestufe II kommen, die nach den Kriterien der §§ 14 und 15 SGB XI lediglich in die Pflegestufe I – oder sogar in die sog Pflegestufe 0 – hätten eingeordnet werden dürfen. Eine Herabstufung dieser Pflegebedürftigen in die Pflegestufe I wegen von Anfang an zu günstiger Einstufung kommt danach schon aus Rechtsgründen (partieller Bestandsschutz) nicht in Betracht. § 45 SGB X bietet hier keine Rechtsgrundlage, weil es wegen des genannten partiellen Bestandsschutzes an der Rechtswidrigkeit der von Anfang an zu günstigen Überleitung in die Pflegestufe II fehlt; § 48 SGB X ist insoweit unanwendbar, als Art 45 PflegeVO die Folgen der Rechtsänderung speziell regelt.
b) Dieser allein auf dem vorangegangenen Leistungsbezug beruhende, von der aktuellen Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen unabhängige partielle Bestandsschutz ist im Rahmen des § 48 SGB X zu beachten, auch soweit es um die Änderung der tatsächlichen Verhältnisse geht. Er hat zur Folge, dass Versicherte, die nach Art 45 PflegeVO pauschal der Pflegestufe II zugeordnet worden sind, nur dann gemäß § 48 SGB XI in die Pflegestufe I herabgestuft werden können, wenn sich ihr Pflegebedarf nach dem 31. März 1995 (also nicht noch zu Zeiten der Geltung alten Rechts nach dem SGB V aF) aufgrund tatsächlicher Umstände wie zB einer gesundheitlichen Besserung, durch Ausstattung mit Hilfsmitteln oder durch Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfelds in solchem Maße verringert hat, dass nur noch ein Pflegebedarf in den sachlichen und zeitlichen Grenzen des § 15 Abs 1 Satz 1 Nr 1 und Abs 3 Nr 1 SGB XI (Pflegestufe I) vorhanden ist. Eine Herabstufung bei gegenüber dem Zustand vom 31. März 1995 nach Art und Umfang unverändertem Hilfebedarf, also bei fehlender nachträglicher wesentlicher Änderung der tatsächlichen Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X, ist somit ausgeschlossen.
c) Diese Rechtslage haben die Pflegekassen zu berücksichtigen, wenn es um die Frage geht, ob eine erneute Untersuchung des Pflegebedürftigen zur Feststellung seines Pflegebedarfs nach § 18 Abs 2 Satz 5 SGB XI angeordnet wird.
aa) Entgegen dem Wortlaut des § 18 Abs 2 Satz 5 SGB XI, nach dem die Untersuchung „in angemessenen Zeitabständen" zu wiederholen ist, ein gewisser Zeitablauf also bereits dazu verpflichten würde, ist auch zur Rechtfertigung einer Wiederholungsuntersuchung wegen des damit verbundenen Eingriffs in die Privatsphäre des Versicherten erforderlich, dass zumindest die Möglichkeit besteht, die Voraussetzungen für eine – vollständige oder teilweise – Aufhebung der Leistungsbewilligung nach den §§ 14, 15 und 36 ff SGB XI könnten eingetreten sein. Denn § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X, der als Rechtsgrundlage für einen solchen Änderungs- oder Aufhebungsbescheid heranzuziehen ist, lässt – wie ausgeführt – eine Änderung der Leistungsbewilligung bei trotz Zeitablaufs unveränderter Pflegesituation nicht zu. Dieser Rechtslage tragen die Pflegebedürftigkeits-Richtlinien (PflRi) vom 7. November 1994 idF vom 21. Dezember 1995 Rechnung, die zu Recht nicht allein am Zeitablauf orientierte routinemäßige Wiederholungsuntersuchungen empfehlen, sondern erneute Begutachtungen (nur) „in Anlehnung an die Empfehlung des MDK" und ansonsten (nur) „bei Bekanntwerden wesentlicher Veränderungen der Ausgangssituation" (Ziff 8.1). Nach Ziff 5.9 der PflRi hat der MDK im Erstgutachten ua auch die weitere Entwicklung der Pflegebedürftigkeit zu prognostizieren und Aussagen über die sich im Einzelfall daraus ergebende Notwendigkeit und die Zeitabstände von Wiederholungsbegutachtungen zu machen. Bezeichnet also der MDK – wie hier – im Erstgutachten eine Besserung des Gesundheitszustands des Versicherten als aussichtslos und rät er deshalb zum Verzicht auf eine Nachuntersuchung, darf die Pflegekasse eine Wiederholungsuntersuchung allein wegen Zeitablaufs nicht anordnen. Den Regelungen der PflRi entsprechende, den Anwendungsbereich des § 18 Abs 2 Satz 5 SGB XI zutreffend eingrenzende Bestimmungen finden sich auch in den Begutachtungs-Richtlinien (BRi) vom 21. März 1997 (vgl Teil C Ziff 2.8.2; Teil D Ziff 01, Ziff 6.2 und Ziff 9) sowie in dem Gemeinsamen Rundschreiben der Spitzenverbände der Krankenkassen zu den leistungsrechtlichen Vorschriften des PflegeVG vom 28. Oktober 1996 idF vom 9. Juli 1999 (§ 18 SGB XI Ziff 4). Auch die Gesetzesmaterialien zu § 18 SGB XI lassen den Schluß zu, dass routinemäßige, allein vom Zeitablauf bestimmte Wiederholungsuntersuchungen von § 18 Abs 2 Satz 5 SGB XI nicht gedeckt sein sollten (vgl BR-Drucks 505/93, S 99, 100: „Die Angemessenheit der Zeitabstände richtet sich insbesondere nach dem vom MDK ermittelten Befund und der über die weitere Entwicklung der Pflegebedürftigkeit abgegebenen Prognose.")
bb) Die erneute Untersuchung darf demnach nur angeordnet werden, wenn die zu treffenden Feststellungen dazu dienen sollen, die Voraussetzungen einer rechtlich zulässigen Rechtsfolge (hier: etwaige Herabstufung in die Pflegestufe I nach § 48 SGB X wegen nachträglicher wesentlicher Änderung der tatsächlichen Verhältnisse) zu ermitteln, und die Maßnahme dazu in tatsächlicher Hinsicht auch notwendig ist. Ärztliche Untersuchungen, die in diesem Sinne nicht notwendig sind, haben zu unterbleiben. Die Mitwirkung des Versicherten nach § 65 Abs 1 SGB I kann nicht verlangt, negative Folgen (§ 66 SGB I) dürfen an die zu Recht verweigerte Mitwirkung nicht geknüpft werden.
cc) Zur Feststellung einer Änderung des Gesundheitszustands der Klägerin war die ärztliche Untersuchung entbehrlich. Die körperlichen Funktionseinschränkungen der Klägerin stellen einen Dauerzustand dar, der unstreitig und unzweifelhaft eine Besserung ausschließt. Pflegeerleichterungen durch Bereitstellung spezieller Hilfsmittel oder Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfelds sind weder vom LSG festgestellt noch von den Beteiligten vorgetragen noch aus den Akten ersichtlich. Der aus den körperlichen Behinderungen resultierende Pflegebedarf der Klägerin kann sich nach den Gesamtumständen im Vergleich zur Begutachtungssituation des Jahres 1993 und auch im Vergleich zur Situation am hier maßgeblichen Stichtag des 31. März 1995 allenfalls erhöht haben. Eine Verringerung des Pflegebedarfs ist ersichtlich ausgeschlossen. Hinweise auf eine Verringerung des Pflegebedarfs bietet auch nicht die Berufstätigkeit (Vollzeitbeschäftigung) der Klägerin, die der MDK in seinem Vermerk vom 5. Dezember 1995 zum Anlaß für seine Nachuntersuchungs-Empfehlung genommen hat; denn ihrer Vollzeitbeschäftigung ging die Klägerin, wie der Beklagten bekannt war, auch schon im Jahre 1993 nach, so dass der langjährigen Berufstätigkeit – anders als zB die erstmalige Aufnahme einer Berufstätigkeit – die Indizwirkung für eine etwaige Verringerung des Pflegebedarfs fehlt.
Da die angeordnete Untersuchung durch den MDK nicht notwendig war (§ 18 Abs 2 Satz 1 und 5 SGB XI, § 62 SGB I), erweist sich die Einstellung der Zahlung des Pflegegeldes wegen fehlender Mitwirkung als rechtswidrig. Die ab 1. August 1998 fällig gewordenen Pflegegeldbeträge sind nachzuzahlen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Dr. Ladage Dr. Udsching Schriever