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Gedanken zum Jahreswechsel 2009/2010

Gedanken zum Jahreswechsel 2009 / 2010

2010 - das Jahr, in dem die Behindertenrechtskonvention umgesetzt wird!

Die Jahreszahl 2010, unterlegt mit Fragezeichen Das Jahr 2009 neigt sich dem Ende zu. Rückblickend muss konstatiert werden, dass wir mit sehr viel Energie nahezu auf der Stelle getreten sind. Wenn man sich die Termine auf unserer Homepage anschaut und weiß, wie viel Aufwand es für uns bedeutet, "mal kurz" nach Berlin zu reisen, kann man ermessen, wie viele Anstrengungen wir unternommen haben, um unsere Forderungen in die Gesellschaft und die Politik zu tragen. Was blieb übrig? Ein Abschluss der Krankenhauskampagne, der kein Abschluss sein darf, weil kurz vor der Gesetzgebung wesentliche Forderungen gekappt wurden. Die Assistenz behinderter Arbeitgeber im Krankenhaus wurde endlich Gesetz, was einige Kostenträger dazu veranlasste, die hauswirtschaftliche Versorgung und die Eingliederungshilfe herauszurechnen. Dabei kann sich jeder ausrechnen, dass die pflegerischen Mehrbedarfe in dieser Zeit wesentlich höher sind als zuhause. Aber so geschieht es eben, wenn Gesetze zusammengezimmert werden und Expertenmeinungen ungehört bleiben. Nach wie vor können Menschen mit Assistenzbedarf nicht zur Kur, weil keine Rehaklinik bereit ist, diese aufzunehmen. Nach wie vor werden Kunden ambulanter Dienste und Heimbewohner alleine ins Krankenhaus geschickt, obwohl der Gesetzgeber weiß, dass deren Probleme genau so gravierend sind wie die der behinderten Arbeitgeber, mitunter sogar lebensbedrohlich! Wir haben zur Handhabung der neuen Gesetze Handlungsempfehlungen auf unsere Homepage gestellt.

Vor kurzem bin ich auf der Recherche im Internet auf einen Aufsatz unserer verstorbenen Gründungsvorsitzenden Elke Bartz aus dem Jahr 1998 gestoßen. Der Aufsatz "Quo vadis Menschenwürde" wurde im Dezember 1998 geschrieben. Man stellt mit Erschrecken fest, dass sich seither nicht allzu viel geändert hat. Gut, der immer wieder falsch angewandte § 3a BSHG heißt jetzt § 13 SGB XII. Das war es aber auch. Die missbräuchliche Anwendung durch viele Kostenträger ist die Gleiche geblieben und hat auch zahlenmäßig nicht abgenommen. Was haben wir dagegen in diesen elf Jahren gekämpft, geschrieben, debattiert und schöne Reden angehört? Vielleicht sollten wir innehalten und erst einmal unsere Vorgehensweise überprüfen? Vielleicht kommen wir mit Nettigkeiten doch nicht weiter? Vielleicht müssen wir wirklich wieder auf die Straße, auf der schon sehr viel erreicht wurde (nur um ein Stichwort zu nennen: Bremen 1981). Heute kann man unsere Forderungen mit dem Radiergummi oder der PC-Maus bekämpfen.

Seit diesem Jahr sind wir im Besitz einer scharfen Klinge, der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen. Es ist an uns, darauf zu achten, dass uns diese nicht aus der Hand geschlagen wird. Gefahr droht uns nicht nur aus der Ecke derer, die uns die Umsetzung verweigern. Die weitaus größere Gefahr geht von denen aus, die bei der Umsetzung allzu große Kompromisse hinzunehmen bereit sind. Denn dadurch wird der Gesellschaft eingeredet, es seien alle Punkte erfolgreich abgearbeitet. Weil jedoch noch immer Menschen mit Behinderung

  • in "Heime" eingeliefert werden, da die "gewährte" Finanzierung der benötigten Assistenz in der eigenen Häuslichkeit nicht ausreichend ist
  • zuhause Not leiden, weil die "gewährte" Assistenz nicht bedarfsdeckend ist
  • gleich welchen Alters gegen deren erklärten Willen mit staatlicher Gewalt ausgesondert und in Sondereinrichtungen verwahrt und verwaltet werden
  • Einkommen und Rücklagen weggenommen werden
  • durch immer noch nicht barrierefreie öffentliche Verkehrsmittel in der Mobilität dadurch zusätzlich behindert werden, dass ihnen der benötigte Ersatz verweigert wird
  • durch nicht barrierefreie öffentliche Einrichtungen (z.B. Toiletten in Gastronomiebetrieben) oder
  • durch einen eklatanten Mangel an zugänglichen Wohnungen bei der Wohnungssuche und beim Besuch von Verwandtschaft und Bekanntschaften zusätzlich behindert werden

müsste auch Laien klar sein, dass wir noch einen riesigen Aufholbedarf abarbeiten müssen, um die Forderungen der Behindertenrechtskonvention zu erfüllen. Dabei erhebt die Liste keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. In unserer Verfassung steht seit nunmehr 15 Jahren im Artikel 3 "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden." Für juristisch ungebildete Menschen ist damit eigentlich alles gesagt. Juristen und Politiker dagegen stellen klar, dass damit keine einzige Forderung begründet werden könne. Auch wegen dieser Tricksereien werden wir dafür sorgen, dass mit der Behindertenrechtskonvention kein Schindluder getrieben wird!

Bundespräsident Horst Köhler forderte in seiner Der nachfolgende Link öffnet ein neues Fenster Weihnachtsansprache einen achtsamen Umgang untereinander. Wir denken in diesem Zusammenhang an Behörden und Gerichte, die uns auch heute noch vorwerfen, dass die Kosten unseres Lebens mit Assistenz der Gesellschaft nicht zuzumuten seien. Behinderte Menschen mit Assistenzbedarf finden selten Lebenspartner. Grund hierfür ist auch, dass diese personell und finanziell in Mithaftung genommen werden. Eltern im hohen Alter müssen für ihre Kinder, auch wenn diese mittlerweile selbst das Rentenalter erreicht haben, Unterhalt bezahlen und dies auch noch direkt an das Sozialamt. Alleiniger Grund dafür ist deren Bezug von Eingliederungshilfe.

Die Verweigerung der Chancengleichheit hat ihren Ursprung im jahrhundertealten Verstecken behinderter Menschen. Denn eine Behinderung wurde allzu oft als Strafe Gottes gesehen. Und genau dieser Ansicht hängen noch viele Menschen in den Sozialverwaltungen und andere Teile der Gesellschaft nach. Die Aussonderungen werden nach wie vor auch mit aller staatlicher Gewalt betrieben. Zuerst werden ohne Bedarf "Heime" gebaut und dann in einer seltsam anmutenden Zusammenarbeit zwischen Sozialverwaltungen und den Trägern dieser Anstalten mit in Frage kommenden Menschen befüllt. Stellvertretend für viele Andere sei die ehemalige Bundeshauptstadt Bonn genannt. Scheinbar liberale Gesetze werden hinsichtlich der Restriktionsmöglichkeiten mit geradezu sportlichem Ehrgeiz ins Unendliche gedehnt. Hier muss die oben zitierte Achtsamkeit in der Praxis eingefordert werden. Wenn dies nicht mit Unterstützung des Bundespräsidenten geschieht, bleibt seine Weihnachtsansprache eine von vielen, die gehört und vergessen werden.

Elke hat uns in ihrem letzten Interview aufgefordert "Seid achtsam und wachsam!". Diese Forderung sollten wir - nicht nur vom ForseA-Vorstand - uns ständig vor Augen halten. Dieser praktische Stillstand der letzten zehn Jahre, trotz schön klingender Gesetze, muss ein Ende haben.

Die Banken- und Wirtschaftskrise wird gerne zum Vorwand angeführt, um unsere Forderungen abzulehnen. Dabei sind die Menschenrechte, auch die Rechte aus der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen an keiner Stelle mit einem Finanzierungsvorbehalt versehen. Es handelt sich um Selbstverständlichkeiten, die jedem Menschen ohne Behinderung zugestanden werden. Dass unsere Regierung schnell handeln kann, hat sie eindrucksvoll unter Beweis gestellt, als sie den gestrauchelten Zockern wieder auf die Beine geholfen hat. Die Erfüllung unserer Forderungen ist für Bruchteile davon zu haben. Die Zeit der schönen Worte ist vorbei. Es müssen Taten folgen.

Wir bedanken uns bei vielen Menschen in- und außerhalb unseres Vereines für die gute Zusammenarbeit und Unterstützung und hoffen darauf auch im kommenden Jahr. Wir freuen uns auf neue Mitglieder, da wir uns nahezu ausschließlich über Mitgliedsbeiträge finanzieren. Und wir freuen uns über Der nachfolgende Link öffnet ein neues Fenster Unterstützer unserer Kampagne für ein bedarfsdeckendes, einkommens- und vermögensunabhängiges Gesetz zur Sozialen Teilhabe.

Wir wünschen allen Mitgliedern ein gesundes, gutes Neues Jahr ohne Assistenzstress, in dem unsere Nachteile endlich ausgeglichen werden!

Gerhard Bartz, Vorsitzender
Dezember 2009

 

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