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Urteil 067

Az.: S 9 KR 110/05 ER

Sozialgericht Bayreuth

In dem A n t r a g s v e r f a h r e n

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

- Antragsteller -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Piel u. Koll., Sutte 11, 95326 Kulmbach - Az.: 5093/2005-Pl

g e g e n

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- Antragsgegnerin -

erlässt die Vorsitzende der 9. Kammer, Richterin am Sozialgericht Dr. Minnameier, ohne mündliche Verhandlung am 29. April 2005 folgenden

Beschluss :

Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller über den 30.04.2005 hinaus bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens (beinhaltend auch das Vorverfahren), spätestens bis zum 30.10.2005 (Ende des Verordnungszeitraums), Leistungen der Behandlungspflege im Umfang von 24 Stunden täglich als Sachleistung, etwa durch Beauftragung eines Pflegedienstes, vorläufig zu erbringen.

Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller dessen außergerichtliche Kosten zu erstatten.

I.

Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin Behandlungspflege rund um die Uhr.

Der am 15.01.1943 geborene Antragsteller ist Mitglied der Antragsgegnerin. Er leidet an einer Amyotrophen Lateralsklerose mit Dauerbeatmungspflichtigkeit und Tetraparese.

Infolge dessen ist der Antragsteller weitgehend bewegungsunfähig. Er ist seit 23.04.2004 tracheotomiert und muss mangels Eigenatmung ständig maschinell beatmet werden. Am 30.04.2004 erfolgte eine PEG-Anlage, die Ernährung wird inzwischen wegen der Einschränkungen der Schluckfähigkeit hauptsächlich über diese Sonde sichergestellt.

Der Antragsteller befindet sich nach stationärem Aufenthalt seit 29.11.2004 wieder zu Hause bei seiner Ehefrau. Diese ist vollschichtig berufstätig und hierzu an Werktagen ca. 10 Stunden täglich außer Haus.

Zuletzt hatte die Antragsgegnerin durch Bescheid vom 09.02.2005 (bezogen auf einen Verordnungszeitraum bis 30.04.2005) die Kosten für die Beauftragung eines Pflegedienstes nur für einen Zeitaufwand von 17 Stunden täglich übernommen, wobei sie einen Stundensatz für die Krankenversicherung von 15,57 EUR und für die Pflegeversicherung von 12,73 EUR übernommen und bezüglich der Höhe der Kostenübernahme für die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung auf einen Bescheid der Pflegeversicherung verwiesen hatte. Während des hiergegen geführten (noch nicht abgeschlossenen) Widerspruchsverfahrens hatte der Antragsteller am 10.03.2005 beim Sozialgericht Bayreuth den Erlass eine einstweiligen Anordnung beantragt, gerichtet auf Behandlungspflege für 24 Stunden täglich.

Dem Antrag war durch Beschluss vom 17.03.2005 (S 9 KR 62/05 ER) dahingehend stattgegeben worden, dass die Antragsgegnerin verpflichtet worden war, dem Antragsteller ab sofort bis zur Entscheidung über den Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid vom 09.02.2005, spätestens bis zum 30.04.2005 (Ende des Verordnungszeitraumes), Leistungen der Behandlungspflege im Umfang von 24 Stunden täglich als Sachleistung, etwa durch Beauftragung eines Pflegedienstes, vorläufig zu erbringen. Zur Begründung war nach Auswertung sämtlicher medizinischer Unterlagen ausgeführt worden, dass die Ehefrau des Antragstellers nicht in der Lage sei, die Behandlungspflege selbst zu erbringen.

Am 11.04.2005 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin die vorläufige Umsetzung des Beschlusses vom 17.03.2005 über den 30.04.2005 hinaus. Hierauf erwiderte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 15.04.2005, dass über eine Verlängerung im außergerichtlichen Bereich erst nach Vorlage der Verordnung häuslicher Krankenpflege entschieden werden könne.

Der Antragsteller hat daraufhin am 21.04.2005 beim Sozialgericht Bayreuth den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt und in der Anlage die Kopie einer Folgeverordnung von … über 24-stündige Behandlungspflege auch für die Zeit vom 01.05.2005 bis 30.10.2005 vorgelegt.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller Leistungen der Behandlungspflege um Umfang von 24 Stunden täglich ab dem 01.05.2005, längstens bis zum 30.10.2005, zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,

 den Antrag abzulehnen.

Sie verweist darauf, dass mangels Vorlage der Folgeverordnung im Original noch gar kein Verwaltungsverfahren begonnen habe. Ferner werde weiterhin bezweifelt, dass die Ehefrau zur Erbringung von Behandlungspflege nicht in der Lage sei. Diesbezügliche Ermittlungen seien jedoch noch nicht abgeschlossen.

Das Gericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten des Verfahrens S 9 KR 62/05 ER beigezogen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gesamtakten verwiesen.

II.

Der Eilantrag des Antragstellers ist zulässig und auch begründet.

Nach § 86b des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Eine einstweilige Anordnung darf dabei grundsätzlich die endgültige Entscheidung nicht vorwegnehmen. Es kann im Interesse der Effektivität des Rechtsschutzes aber ausnahmsweise erforderlich sein, der Entscheidung in der Hauptsache vorzugreifen, wenn sonst Rechtsschutz nicht erreichbar und dies dem Antragsteller unzumutbar wäre (Meyer-Ladewig, § 86b SGG, Rn. 31).

Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass die behauptete Rechtsverletzung schlüssig ist (Anordnungsanspruch) und Eilbedürftigkeit vorliegt (Anordnungsgrund). Hinsichtlich des Anordnungsanspruchs ist es erforderlich, dass ein Erfolg in der Hauptsache wahrscheinlich ist, wobei bei der Beurteilung ein strenger Maßstab anzulegen ist.

Nach diesen Grundsätzen hat der Antragsteller Anspruch darauf, dass die Antragsgegnerin über den 30.04.2005 hinaus durch eine Fachkraft Behandlungspflege rund um die Uhr erbringt.

Ein Anordnungsanspruch ist gegeben. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf den Beschluss vom 17.03.2005, betreffend Behandlungspflege bis 30.04.2005, verwiesen. Insbesondere ist nach Würdigung der Gesamtakten weiterhin davon auszugehen, dass die Ehefrau des Antragstellers die Behandlungspflege nicht erbringen kann. Gegenteiliges hat sich auch nicht aufgrund der im Nachgang zum Beschluss vom 17.03.2005 von der Antragsgegnerin eingeleiteten Ermittlungen ergeben. Diese sind noch nicht abgeschlossen, eine gegenteilige Stellungsnahme liegt noch nicht vor.

Ein Anordnungsgrund liegt ebenfalls vor. Auch insoweit wird auf die Ausführungen im vom 17.03.2005 verwiesen.

Einer einstweiligen Anordnung steht auch nicht entgegen, dass noch kein Verwaltungsverfahren eingeleitet worden sei, denn durch das Schreiben des Antragstellers vom 11.04.2005 ist ein Verwaltungsverfahren eingeleitet worden. Hierzu bedarf es nicht einer Vorlage einer Verordnung im Original.

Nach alldem war dem Antrag stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf dem § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Bescheid ist gemäß den §§ 172 Abs. 1, 173 SGG Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht statthaft. Die Beschwerde ist binnen eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim Sozialgericht Bayreuth (Hausanschrift: Ludwig-Thoma-Straße 7, 95447 Bayreuth Postanschrift: Postfach 11 01 62, 95420 Bayreuth) schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist beim Bayer. Landessozialgericht, Ludwigstraße 15, 80539 München oder bei der Zweigstelle des Bayer. Landessozialgerichts, Rusterberg 2, 97421 Schweinfurt, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Die Vorsitzende der 9. Kammer

Dr. Minnameier
Richterin am Sozialgericht

Ausgefertigt Bayreuth, den 29. April 2005
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle Wiesneth

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