Unser Weg zum
Arbeitgebermodell
von Isolde Hauschild
Wir sind zwei Schwestern und seit unserer Kindheit an
Muskeldystrophie erkrankt. Als unser Vater plötzlich starb, lag die
Hauptlast unserer Versorgung in den Händen unserer Mutter, trotz mehrerer
Einsätze eines Pflegedienstes täglich. Ihr Gesundheitszustand war
durch die jahrelange Ãœberlastung nicht mehr gut. Wir versuchten unsere
Mutter nicht zu sehr zu strapazieren, immer mit dem Gedanken: Solange es ihr
gut geht, geht es auch uns gut! Am besten wäre es, wenn wir sie ganz aus
der Belastung herauslösen und trotzdem ein eigenverantwortliches Leben in
unserer Wohnung führen könnten. Sehr bald merkten wir, dass es ab
einem bestimmten Hilfebedarf nur 2 Möglichkeiten zu geben schien: entweder
Familie oder Heim. Heim kommt für uns aber nicht in Frage! Und so begaben
wir uns auf die Suche nach Alternativen ...
1997
Wir sehen eine Reportage von einem Mann aus Berlin, der seinen
Assistenzbedarf mit von ihm selbst eingestellten Assistenten organisiert. Wir
denken das erste Mal darüber nach, dass diese Art der Assistenznahme genau
das Richtige für uns wäre.
August 1998
Ausgerüstet mit einem Internetanschluss suche ich den
Begriff "Arbeitgebermodell". Im November stoße ich auf die
"Interessengemeinschaft Selbstbestimmt Leben" und denke, wenn die es nicht
wissen, wer dann? Ich schicke eine Anfrage und erhalte umgehend Antwort von
Elke Bartz mit ersten Informationen. Meine Schwester und ich beraten uns
ausgiebig. In unserer Situation ist diese Art der Assistenznahme die einzige
Möglichkeit in unserer eigenen Wohnung zu leben und unseren Alltag selbst
zu gestalten.
Dezember 1998
Wir haben viele Fragen an Elke Bartz und sind unsicher, ob wir
das alles schaffen können. Aber wir wissen inzwischen, das
Arbeitgebermodell ist genau das, was wir wollen.
Januar 1999
Wir entschließen uns endgültig für das
Arbeitgebermodell.
27.02.99
Wir stellen einen Antrag auf Eingliederungshilfe, Hilfe zur
Pflege, Pauschales Pflegegeld, Hilfe zur Weiterführung des Haushalts und
fügen einen Kostenplan bei.
08.04.99
Wir erhalten die Eingangsbestätigung unseres Antrages. Das
Sozialamt verlangt die Pflegegeldbescheide der Pflegekasse und die Gutachten
vom MDK. Wir müssen die Pflegekasse von unserem Vorhaben unterrichten,
damit diese ihren Standpunkt dazu äußern kann. Die Pflegekasse kann
nicht mitentscheiden, weil diese nur die Geldleistung für unsere
Pflegestufen zahlen wird und die reicht nicht zur Kostendeckung. Genau das
teilt uns die Pflegekasse am 30.06.99 mit. Dazu haben sie 1 ½
Monate gebraucht.
13.7.99
Wir mahnen die Pflegekasse, weil dem Sozialamt die Gutachten vom
MDK immer noch nicht vorliegen. Es wäre schneller gegangen, wenn wir die
Gutachten selbst angefordert und hingeschickt hätten.
22.07.99
Wir teilen dem Sozialamt mit, dass der Umwandlungsantrag von
Kombi- in Geldleistung noch nicht gestellt werden kann, weil die Geldleistung
der Pflegekasse nicht für die Vollfinanzierung des Arbeitgebermodells
ausreicht. Deshalb haben wir ja den Antrag auf Kostenübernahme durch das
Sozialamt gestellt! Außerdem mahnen wir, dass die weitere Bearbeitung
unseres Antrages nicht verzögert werden soll.
10.08.99
Ablehnung unseres Antrages vom 27.02.99.
Begründung: Unverhältnismäßige Mehrkosten.
Obwohl das Sozialamt erfasst hat, dass wir eine Rund-um-die-Uhr-Versorgung
brauchen, darf eine ambulante Hilfe nicht teurer sein als eine
stationäre.
20.08.99
Wir legen Widerspruch ein und beginnen mit der Ausarbeitung der
Widerspruchsbegründung.
06.09.99
Wir nehmen Kontakt zu einem Anwalt auf, um zu erfahren, welche
Möglichkeiten bestehen, in das Verfahren einzugreifen und zu
beschleunigen. Der Anwalt übernimmt unsere Rechtssache und will eine
Einstweilige Anordnung beantragen. Zwischenzeitlich arbeiten wir an einer
Eidesstattlichen Versicherung, bringen ein medizinisches Gutachten zum
Gesundheitszustand unserer Mutter bei und eine Bestätigung unseres
derzeitigen Pflegedienstes, dass er keine Vollversorgung übernehmen kann.
Wir schreiben verschiedene ambulante Pflegedienste in unserer Stadt an, um zu
beweisen, dass diese keine Rund-um-die-Uhr-Versorgung anbieten bzw. was diese
bei Stundensätzen zwischen 35.- und 60.- DM kosten würde.
22.09.99
Der Erlass einer Einstweiligen Anordnung beim Verwaltungsgericht
wird beantragt.
11.10.99
Wir erhalten die Kopie der Erwiderung der Stadt Leipzig auf den
Antrag. Diese beantragt unseren Antrag als unzulässig, hilfsweise als
unbegründet, abzulehnen.
03.11.99
Unser Anwalt bittet das Gericht um Erledigung der Angelegenheit.
Grund: unsere dringliche Situation! Unsere Anträge sollen
"baldmöglichst" entschieden werden.
23.11.99
Unserem Antrag auf einstweilige Anordnung wurde stattgegeben und
die Stadt Leipzig muss die Kosten für das Arbeitgebermodell befristet bis
zum 31.03.2000 übernehmen.
25.11.99
Unsere Widersprüche werden wegen
unverhältnismäßig hoher Kosten abgelehnt. Unser Anwalt reicht
Klage beim Verwaltungsgericht ein.
29.11.99
Die Stadt schlägt einen Beratungstermin mit allen
Beteiligten vor. Unser Anwalt findet diese Besprechung entbehrlich, weil das
Verwaltungsgericht die Stadt zur Ãœbernahme der Kosten verpflichtet
hat.
30.11.99
Die Stadt hält an dem Beratungstermin fest. Unser Anwalt
lehnt das kategorisch ab und droht mit Vollstreckungsmaßnahmen durch das
Gericht.
15.12.99
Nach 3 stressigen Wochen und mehreren schlaflosen Nächten
beginnt heute um 7:00 Uhr die erste Schicht. Die Assistentin ist pünktlich
und genauso aufgeregt wie wir.
26.01.00
Die Verhandlung zu unserer Klage findet am 10.02.00 statt. Wir
sind gleich total aufgeregt.
10.02.00
Gleich zu Beginn der Verhandlung räumen die Vertreterinnen
des Sozialamtes ein, dass sie in ganz Leipzig keinen Pflegedienst finden
konnten, der unseren Tages- und Nachtbedarf decken kann. Alle bieten nur
Notrufsysteme mit einer Wartezeit von mindestens einer halben Stunde. In ganz
Leipzig gab es bisher noch niemanden, der einen 24-h-Hilfebedarf angemeldet
hat. Die Richterin kann das nicht glauben.
Die Vertreterin des Sozialamtes erklärt, dass es so
jemanden schon geben kann, aber dem Sozialamt ist ein gleich gelagerter Fall
nicht bekannt. (Kann ja auch nicht, wir sind die ersten hier, die mit dem
Arbeitgebermodell ihre Assistenz sichern!) Aber die Richterin denkt: Wenn es in
der ganzen Stadt niemanden sonst gibt, kann es bei uns auch nicht sein.
Fazit: Sie bezweifelt trotz eindeutiger Gutachten vom MDK
unseren Rund-um-die-Uhr-Bedarf und will prüfen, ob rund um die Uhr auch 24
Stunden bedeutet. Sie will ein neues Gutachten und wird bis dahin keine
Entscheidung treffen. Wir sind schockiert. Die Richter sind der Meinung, was
vor dem 15. Dezember ging, müsse auch danach gehen. Unser Anwalt
erklärt, dass unsere Mutter den größten Teil des Hilfebedarfs
abgedeckt hat und seit dem 15. Dezember nicht mehr zur Verfügung steht.
Egal, die Richterin will erst prüfen, ob unser Bedarf
gerechtfertigt ist. Sie schlägt vor, den Tagesbedarf mit einem
Pflegedienst und den Nachtbedarf mit dem Arbeitgebermodell zu organisieren. Man
kann ja so verfahren, dass alle 3 Stunden jemand kommt und nachsieht, ob ein
Bedarf besteht. Sie findet den Pflegedienst ausreichend, räumt aber ein,
wenn er bei der vorigen Patientin eine Stunde länger braucht, kommt er
eben eine Stunde später.
Ich kann aber nicht warten, wenn ich auf Toilette muss. "Eine
Stunde warten ist zumutbar" meint die Richterin. Wir sind fassungslos. Sie
versteht auch nicht, warum wir zwei Assistentinnen gleichzeitig benötigen.
Also erkläre ich ihr, wenn die große Körperpflege erledigt
wird, braucht jede von uns eine Assistentin. Für die Richterin ist es
zumutbar, dass die Körperpflege nacheinander erledigt wird, auch wenn wir
dann unser Frühstück erst mittags bekommen. Außerdem dauert die
Grundpflege 40 min und "wenn 40 min. vorgesehen sind, sind Sie auch in 40 min.
fertig".
Sie weiß das, weil sie oft bei Pflegeleistungen dabei ist.
Als sie wissen will, ob wir "mit Gehhilfen laufen können", ist uns klar,
dass sie unsere Akten nicht kennt. Eine Beisitzerin will wissen, ob wir
überhaupt einen Schwerbehindertenausweis haben. Ich antworte: "Ja und wir
haben das Merkzeichen H wie HILFLOS!" Sie will einen Ausweis sehen. Wir sind
sprachlos und können eigentlich nur noch den Kopf schütteln. Einmal
werde ich sogar von der Richterin direkt angesprochen, um mir anzuhören:
"Sie müssen Rücksicht auf die Allgemeinheit nehmen, denn die
Allgemeinheit muss für die Kosten aufkommen."
Unser Anwalt verlangt noch die Klärung der Finanzierung.
Das Sozialamt überweist monatlich einen Betrag, den sie für
angemessen halten. Die Lohnkosten übersteigen diesen Betrag erheblich, so
fehlen uns monatlich mehrere Tausend DM für die Bezahlung unserer
Assistentinnen. Die Richterin entscheidet auch das erst, wenn das neue
Gutachten vorliegt.
Wenn wir unsere Assistentinnen aber nicht voll bezahlen
können, besteht die Gefahr, dass wir plötzlich ohne Versorgung
dastehen. Während der gesamten Verhandlung ging es nur darum, was
"ausreichend" und "zumutbar" in den Augen der Richter ist. Sie gestehen uns zu,
in unserer Wohnung bleiben zu dürfen. Aber mit einer Unterversorgung unter
"arrestähnlichen" Bedingungen. Alles andere ist zuviel verlangt!
Wir wollen erneut eine einstweilige Anordnung beantragen, da die
Kostenübernahme befristet ist. Um unseren Rund-um-die-Uhr-Hilfebedarf zu
verdeutlichen, werden wir unsere Tagesabläufe detailliert von mindestens
einer Woche notieren. Wir fühlen uns wie "öffentliche Personen", wenn
wir daran denken, wer diese Aufstellungen lesen wird.
19.02.00
Das Sozialamt wird auch weiterhin die Personalkosten nicht in
vollem Umfang übernehmen, auch nicht für die Übergangszeit. Ich
hoffe nicht, dass sie uns absichtlich ruinieren und so zum Nachgeben zwingen
wollen.
Wir haben unsere jeweils 40seitigen Tagesabläufe komplett
und als eidesstattliche Versicherungen formuliert.
22.02.00
Der Leiter der Neurologischen Abteilung der Uniklinik wird als
Gutachter bestellt.
Er soll unseren genauen Pflegebedarf ermitteln, vor allem, ob
für unsere Nachtversorgung die ständige Anwesenheit einer
Pflegeperson erforderlich ist. Er soll auch prüfen, ob wir zeitweise 2
Assistentinnen benötigen.
26.02.00
Unsere neue einstweilige Anordnung wurde am 24.02.00 beim
Verwaltungsgericht Leipzig beantragt. Wir haben viel Material eingereicht und
ich habe keine Zweifel, dass schnell eine Entscheidung getroffen wird.
17.03.00
Wir erhalten die Stellungnahme des Sozialamtes zu unserem Antrag
auf einstweilige Anordnung. Unser Hilfebedarf wird weiterhin bezweifelt und sie
sind der Ansicht, dass 12,- DM Stundenlohn für die neuen Bundesländer
ausreichend sind.
01.04.00
Wir haben ab April keine Finanzierung. Natürlich mussten
wir unsere Assistentinnen einteilen wie immer. Wir erwarten jeden Tag den
Gerichtsbeschluss. Weiter trauen wir uns nicht zu denken!
04.04.00
Unser Anwalt schickt erneut ein Schreiben an das
Verwaltungsgericht Leipzig. Es ist nicht die Zeit, um auf das Vorliegen eines
Sachverständigengutachten zu warten.
Der Gutachter weiß jetzt seit 7 Wochen, dass er das
Gutachten erstellen soll und er weiß auch, dass unsere Situation
dringlich ist.
05.04.00
Endlich meldet er sich bei uns. Um unseren "häuslichen"
Pflegeumfang ermitteln zu können, schlägt er einen "stationären"
Aufenthalt in seiner Klinik vor. Wir haben mit allem Möglichen gerechnet,
aber nicht mit so einem Vorschlag. Wie sollen wie darauf reagieren, damit das
Sozialamt uns nicht als unkooperativ hinstellt?
Unser Anwalt setzt sich mit dem Gutachter in Verbindung, schickt
ihm Kopien unserer Tagesabläufe und Gutachten unserer behandelnden
Ärztin mit.
12.04.00
Das Sozialamtes teilt mit: die Frist der Hilfegewährung
wird bis 31.05.00 verlängert. Uns fällt ein Stein vom Herzen! Die
Probleme sind dadurch aber nicht gelöst, sondern verschieben sich nur um 2
Monate. Und es bleibt trotzdem jeden Monat die Differenz!
13.04.00
Wir beschließen nun endgültig die Öffentlichkeit
einzuschalten. Offensichtlich passiert in unserer Angelegenheit nichts und wir
fühlen uns einmal mehr hingehalten.
Wir beraten uns mit Elke Bartz und sie hilft uns dabei, Kontakt
zu den Medien herzustellen.
21.04.00
Wir erhalten vom Verwaltungsgericht Bescheid, dass über
unseren Antrag demnächst entschieden wird.
29.04.00
Ein Beigeordneter vom Dezernat Gesundheit und Soziales antwortet
auf ein Schreiben an den Oberbürgermeister. Er hat die Rechtslage
geprüft und festgestellt, dass die Hilfegewährung bis Ende Mai
verlängert wurde. Daher betrachtet er unser Anliegen als erledigt.
11.05.00
Offensichtlich hat sich der Gutachter bei Gericht beschwert,
weil unser Anwalt sich mit ihm in Verbindung gesetzt hat. Laut Gericht liegt es
einzig und allein im sachverständigem Ermessen des Gutachters, wo und wie
die erforderlichen Untersuchungen durchgeführt werden sollen. Wir sollen
unverzüglich mitteilen, ob wir zu einer stationären Aufnahme bereit
sind. So, wie das Schreiben formuliert ist, haben wir keine andere Wahl, als
zuzustimmen.
12.05.00
Ich bitte um Bedenkzeit übers Wochenende. Wir wissen, dass
die Zeit drängt und wir uns entscheiden müssen. Das Klügste
wäre wahrscheinlich zuzustimmen...
14.05.00
Trotz aller Bedenken und schweren Herzens stimmen wir der
Begutachtung zu.
19.05.00
Der Gutachter will den Auftrag nicht annehmen. Laut
Verwaltungsgericht kann er das aber nicht selbst entscheiden. Wenn er als
Sachverständiger vom Gericht beauftragt wird, muss er das Gutachten
erstellen.
26.05.00
Der Antrag zur zweiten einstweiligen Anordnung wurde bis heute
nicht entschieden. Trotz häufiger, auch telefonischer, Anfragen unseres
Anwalt, erfolgt von dieser Seite keine Reaktion.
01.06.00
Der Juni beginnt, wir haben weder eine Entscheidung auf unseren
Antrag auf einstweilige Anordnung, noch eine Ahnung, wie wir die Löhne ab
sofort bezahlen sollen.
04.06.00
Wir wissen jetzt nicht mehr weiter. Von allen angeschriebenen
Fernsehsendern kommt keine Reaktion. Wir verstehen nicht, dass hier anscheinend
kein öffentliches Interesse besteht. Obwohl wir ausdrücklich auf
unsere Finanzierungsprobleme hinweisen und auf das endlose Warten auf die
Entscheidung unseres Antrags. Der Antrag wurde von uns am 24.02.00 gestellt.
Damals war ich noch der Meinung, die Entscheidung würde schnell gehen, da
wir wirklich viele Beweise eingereicht hatten.
05.06.00
Kurzentschlossen suche ich den Dezernenten für Soziales und
Gesundheit auf. Ich melde mich nicht an, damit ich nicht gleich eine Absage
erhalte. Er ist leider gerade in einer lange dauernden Besprechung. Ich bitte
um einen Termin, so schnell es geht. Es klappt und meine Assistentin freut
sich, "das ist doch was". Ich bin mißtrauisch und werde Recht behalten.
Kaum sind wir zu Hause, ruft seine Sekretärin an, um den Termin abzusagen.
Begründung: Schwebendes Verfahren.
06.06.00
Ãœberraschend kommt die Antwort vom Sozialdezernenten
auf ein Schreiben vom 8.05.00. Es steht nichts drin, was ich nicht schon
weiß!
08.06.00
Dem Sozialdezernenten schicke ich ein Fax. Ich erkläre ihm
mein Unverständnis über sein Verhalten. Da er ein gewählter
Vertreter der Bürger der Stadt Leipzig ist, ist er auch für deren
Belange zuständig. Und wir gehören auch zu diesen Bürgern!
10.06.00
Ich rufe oft unseren Anwalt an, vielleicht hat er den Bescheid
schon. Er weiß aber auch nichts Neues!
13.06.00
Unsere Situation spitzt sich weiter zu. Die nervliche Anspannung
ist unerträglich.
Wir haben inzwischen alle in Frage kommenden Stellen informiert,
vom OBM bis zum zuständigen Sozialamt und erhalten stets nur die eine
Antwort: Schwebendes Verfahren!
Wir wissen immer noch nicht, was mit dem Gutachten werden
soll.
Unser Anwalt ruft wiederholt beim Gericht an, um anzufragen,
wann eine Entscheidung getroffen werden soll. Er erklärt, wie dringend es
ist. Einzige Antwort: Bald!
21.06.00
Unser Anwalt erfährt von einem der Richter, dass die
einstweilige Anordnung fertiggestellt ist.
27.06.00
Im letzten Moment erhalten wir den Beschluss vom
Verwaltungsgericht zu unserem Antrag auf einstweilige Anordnung vom 24.02.00.
Das Sozialamt wird darin zur Kostenübernahme für 22 volle Stunden
verpflichtet. Beantragt haben wir 27 volle Stunden. Es ist nach Auffassung des
Gerichts bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache zumutbar und ausreichend,
wenn wir eine Assistentin rund um die Uhr und eine zweite für 3 Stunden
täglich (diese soll nur für getrennte Unternehmungen eingesetzt
werden) zur Verfügung haben.
Es bleibt uns nichts anderes übrig, als die Stundenzahl
unserer Assistentinnen entsprechend zu reduzieren. Das bedeutet aber totale
Einschränkung und wir wissen noch nicht, was das letztlich für
Auswirkungen haben wird.
06.07.00
Wir haben für die Assistentinnen
Änderungskündigungen aufgesetzt und hoffen, dass sie darauf eingehen
können. Weniger gearbeitete Stunden bedeutet auch weniger Verdienst.
11.07.00
Alle Assistentinnen haben die Änderung akzeptiert. Ab
14.07.00 gilt die neue Stundenzahl.
Die Sekretärin vom Gutachter hat eine Nachricht
hinterlassen. Sie schlagen uns den Zeitraum vom 17.07. - 20. oder 21.07.00
für die stationäre Aufnahme vor, "um die wir gebeten haben". Sehr
witzig!
13.07.00
Um Missverständnissen aus dem Weg zu gehen, schicke ich dem
Professor per Fax eine Bestätigung des Termins.
17.07.00
Wir hoffen, wir haben an alles gedacht und machen uns mit
gemischten Gefühlen auf zum Gutachten. Der Professor begrüßt
uns. Das Personal ist mit unserer Versorgung überfordert. Sie haben nicht
genug Zeit und es gibt bald die ersten Konflikte. Wir müssen uns sehr
behaupten, damit die Schwestern vorsichtig mit uns umgehen.
18.07.00 - 20.07.00
Ab sofort wird in jeder Schicht eine Schwester aus einer anderen
Abteilung herangezogen, die nur für uns zuständig ist. Das
Stammpersonal der Abteilung kann unsere Versorgung nicht schaffen. Der
Professor kommt jeden Tag und teilt uns am Mittwoch mit, dass die Dokumentation
abgeschlossen wird und wir am Donnerstag nach Hause zurückkehren
können.
25.07.00
Mit der reduzierten Stundenzahl kommen wir nicht zurecht. Die 2.
Assistentin fehlt an allen Ecken und Enden. Wir müssen jetzt sogar planen,
wann es möglich ist, zu Duschen. Die Stunden fehlen auch für die
hauswirtschaftliche Versorgung. Die Assistentin ist entweder mit uns oder dem
Essen machen beschäftigt, da bleibt kaum Zeit für die Wäsche
oder zum Saubermachen.
14.08.00
Uns beschäftigt die Frage, ob das Sozialamt über den
August hinaus die Kosten für unsere Assistentinnen übernimmt oder ob
wieder eine einstweilige Anordnung beantragt werden muss. Bei einer
Bearbeitungszeit von über 5 Monaten, hätten wir die Entscheidung
vielleicht zu Weihnachten.
17.08.00
Unser Anwalt erhält vom Sozialamt ein Fax, in dem sie sich
bereit erklären, die Kosten in bisheriger Höhe weiterhin zu
übernehmen! Das möchte ich schriftlich haben, bevor ich beruhigt
bin.
07.09.00
Das Gutachten ist da! Ich rufe sofort unseren Anwalt an und mir
ist ganz schön mulmig. Die Schwestern in der Klinik haben genau notiert,
welche Tätigkeiten sie für uns erledigt haben und welcher Zeitaufwand
dafür notwendig war. Dementsprechend ist das Gutachten für uns
positiv ausgefallen!
25.09.00
Völlig unerwartet erhalten wir die Bescheide: die Stadt
Leipzig übernimmt ab sofort die Kosten nach Assistenzmodell entsprechend
unserer vorgelegten Kostenkalkulation. Sie bezahlen die Lohnkosten für
unsere Assistentinnen!
Wir können es erst kaum glauben, und lassen uns von
unserem Anwalt bestätigen, dass es die Bescheide sind!
Später legen wir dennoch Widerspruch ein, da das Sozialamt
trotzdem nur bis zu einem festgelegten Höchstbetrag bezahlen wird. Denen
ist noch nicht klar, dass eine Kostenkalkulation eine durchschnittliche
Berechnung ist, die monatlich durchaus schwanken kann (z.B. durch
Urlaub/-vertretung, Krankheit).
Der Text wurde bei der Veranstaltung in
Kassel verlesen.