Für behinderte Arbeitgeber*innen ist Unterfranken ein schwieriges "Pflaster". Der Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben von Menschen mit Behinderungen stößt auf einen Bezirk, der alles daran setzt, seine eigenen Vorstellungen durchzusetzen. Aus diesem Grund hat sich ForseA entschlossen, einige gravierende Beispiele zusammenzufassen und in einem offenen Brief auch jenseits der Grenzen des Freistaates zu veröffentlichen. Eingehende Reaktionen werden wir veröffentlichen. Wir wollen erreichen, dass Menschen auf den offensichtlichen Widerspruch zwischen farbigen Hochglanzpapieren der Regierung und der oft diskriminierenden Umsetzung der Verwaltung offenbar wird. Hilfreich hierbei eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 1966!
Offener Brief
vom 29.05.2019 an den Verteiler
Herr Ministerpräsident Dr. Markus Söder
• Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales Frau Kerstin Schreyer
• Bundesminister für Arbeit und Soziales Herr Hubertus Heil
• Beauftragter der Bundesregierung für die Belange der Menschen mit Behinderung Herr Jürgen Dusel
• Deutsches Institut für Menschenrechte Herr Valentin Aichele LL.M.
• Beauftragter der CDU/CSU-Fraktion für Menschen mit Behinderungen Herrn Wilfried Oellers
• Sprecher für Inklusion und Teilhabe der BT-Fraktion DIE LINKE, Herr Sören Pellmann •
Sprecherin für Behindertenpolitik der BT-Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Corinna Rüffer
• Behindertenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Frau Kerstin Tack •
Sprecher für Teilhabepolitik der FDP-Bundestagsfraktion Herr Jens Beek
• Bayerischer Rundfunk Unterfranken, Herr Eberhard Schellenberger
• Mainpost Würzburg Herr Michael Reinhard
• Landesbehindertenbeauftragter Bayern Herr Holger Kiesel
• Der Bürgerbeauftragte des Landes Mecklenburg-Vorpommern Herr Matthias Crone
• Hamburger Senatskoordinatorin für die Gleichstellung behinderter Menschen Frau Ingrid Körner
• Landesbehindertenbeauftragte Niedersachsen Frau Petra Wontorra
• Landesbehindertenbeauftragte Hessen Frau Maren Müller-Erichsen
• Landesbehindertenbeauftragter Thüringen Herr Joachim Leibiger
• Landesbehindertenbeauftragter Brandenburg Frau Elke Mandel
• Landesbehindertenbeauftragte Saarland Frau Christa Rupp
• Landesbehindertenbeauftragter Schleswig-Holstein Herr Dr. Ulrich Hase
• Landesbehindertenbeauftragter Nordrhein-Westfalen Frau Claudia Middendorf
• Landesbehindertenbeauftragter Sachsen-Anhalt Herr Adrian Maerevoet
• Landesbehindertenbeauftragter Sachsen Herr Stephan Pöhler
• Landesbehindertenbeauftragter Rheinland-Pfalz Herr Matthias Rösch
• Landesbehindertenbeauftragte Berlin Frau Christine Braunert-Rümenapf
• Landesbehindertenbeauftragter Bremen Herr Dr. Hans-Joachim Steinbrück
• Landesbehindertenbeauftragte Baden-Württemberg Frau Stephanie Aeffner
• Bezirkstagspräsident und Präsident des Bezirkes Oberbayern Herr Josef Mederer
• Präsident des Bezirks Niederbayern Herr Olaf Heinrich
• Präsident des Bezirks Oberpfalz Herr Franz Löffler
• Präsident des Bezirks Oberfranken Herr Henry Schramm
• Präsident des Bezirks Unterfranken Herr Erwin Dotze l•
Präsident des Bezirks Mittelfranken Herr Armin Kroder
• Präsident des Bezirks Schwaben Herr Martin Sailer
• Leiter der Sozialverwaltung des Bezirks Unterfranken Herr Peter Ditze
Sehr geehrte Damen und Herren,
in der letzten Woche feierten wir in Deutschland 70 Jahre Grundgesetz. Leider müssen Menschen mit Behinderung konstatieren, dass für sie einige Grundrechte gar nicht, andere nur eingeschränkt Gültigkeit besitzen. Zumindest dann, wenn man das Behördenhandeln im Einklang mit dem Grundgesetz sehen will.
Es ist keineswegs mit der Behindertenrechtskonvention und dem Grundgesetz zu vereinbaren, dass jeder Antrag auf behinderungsbedingten Nachteilsausgleich als Angriff auf die Haushalte der Kommunen verstanden wird. Einerseits erlässt der Gesetzgeber Gesetze mit Ermessensspielräumen, auf der anderen Seite werden diese Spielräume lediglich dazu verwendet, die Leistung - sofern sie überhaupt „gewährt" wird - an der untersten Grenze des Spielraumes festzumachen.
Auf der Seite der Kostenträger wurden riesige Strukturen geschaffen, um Ansprüche „fundiert" abzuwehren. Das reicht vom autonomen Sachbearbeiter über Amtschefs, Widerspruchsbehörden, Sozialgerichte, Sachverständige, Gutachter, Wissenschaftler, die alle dem Widerstand gegen die geltend gemachten Bedarfe einen seriösen Anstrich geben. Auf der Antragstellerseite ist man dagegen weitgehend allein. Das fängt bereits beim Rechtsbeistand an. Kommt man mit einem Beratungsschein zu einem Anwalt, scheitert man schon im Vorzimmer daran, dass es keine freien Termine gibt. Manchmal bekommt man dann noch im selben Gespräch mitgeteilt, dass es bei Akzeptanz der Privatrechnung doch noch eine Chance gäbe. Das Recht ist oft den weniger Armen vorbehalten. So bleiben den Antragstellern nur noch Betroffenenverbände oder Bera-tungsstellen. Letztere, besonders die sogenannten EUTB-Beratungsstellen bieten ein zigfaches an Beratern an, als es zuvor auf dem Beratungsmarkt gegeben hat. Gleichzeitig leidet die Wirksamkeit darunter, dass diese sich viel zu früh - zugunsten der Rechtsanwälte - aus der Beratung zurückziehen müssen.
Wir haben auch die leidvolle Erfahrung machen müssen, dass - sobald bekannt wird, dass ForseA berät - der Widerstand auf Seiten der Behörden wächst. Frei nach dem Motto: Wenn wir ForseA den Zahn ziehen, haben wir zehn Antragsteller abgewimmelt.
Es gibt jedoch auch wohltuende Ausnahmen: Behörden, die froh sind, auf die Beratungshilfsmittel von ForseA, die auf der Basis von mehr als zwei Jahrzehnten Beratungsarbeit fußen, zurückgreifen zu können. Zwei Beispiele, die durch die Aufrufzahlen im Internet zu belegen sind: Unsere Kalkulation und die Checkliste für Zielvereinbarungen. Und hier kommen wir wieder auf Unterfranken zurück. Dort verwendet man zwar auch ForseA-Unterlagen, passt sie jedoch eigenen Vorstellungen an. Denn dort gilt jeder Antragsteller als Besonderheit, der als Einzelfall nach eigenem Gutdünken Kontakt mit der bayrisch-fränkischen Staatsgewalt erleidet. Auch in Bayern muss der Inklusionsgedanke als Maßstab behördlichen Handelns Einzug halten. Dabei sind die Aufwände zur Abwehr berechtigter Ansprüche deutlich höher, als die berechtigten Leistungen an sich!
Rechnet man die staatlichen Anstrengungen zur Abwehr gegen die Ansprüche, wird unsere Gesellschaft gewinnen. Die Versprechungen, die die Politik abgibt, müssen von der Verwaltung endlich eingelöst werden. Und wenn die bestehenden Gesetze dies nicht hergeben, dann müssen sie im Geiste der Verfassung und der Behindertenrechtskonvention interpretiert werden. Das ist gesetzlich so vorgeschrieben und Zuwiderhandlungen müssen endlich bestraft werden!
Ein aktuelles Beispiel behördlicher Willkür veranlasste uns, den Umgang des Bezirks Unterfranken mit Antragstellern anhand von fünf Beispielen zu dokumentieren. Nach Lektüre dieser Beispiele werden Sie sich hoffentlich unserer Ansicht anschließen, dass dies alles nicht mit dem Satz „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden" und der Interpretation des Bundesverfassungsgerichtes und von Fachgerichten in Einklang zu bringen ist.
Über Ihre Stellungnahme, die wir ebenfalls auf unserer Internetseite veröffentlichen werden, freuen wir uns.
Mit freundlichen Grüßen
Forum selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen e.V.
Gerhard Bartz, Vorsitzender
Der Umgang des Bezirks Unterfranken mit behinderten Bürgerinnen und Bürgern - durch das Okular unserer Verfassung betrachtet.
In Bayern haben die Bezirke ein Eigenleben entwickelt, das bedenkliche Formen annimmt. Am Beispiel des Bezirks Unterfranken wird dies nachstehend belegt.
Verordneter Hausarrest und Betätigungsverbot
Einer Bürgerin schreibt der Bezirk täglich tagsüber drei Stunden Untätigkeit vor. Damit will er erreichen, dass diese drei Stunden als Bereitschaftszeit ihrer Assistenz reduziert bezahlt werden. Erklärt wurde das bei der Bedarfsermittlung mit: „Sie können sich doch auch mal ein paar Stunden allein beschäftigen!". Hier offenbart sich eine große Respektlosigkeit der „Sachverständigen" sowohl der behinderten Frau als auch ihren Assistentinnen gegenüber. Die Betroffene braucht Hilfe zu allen Zeiten des Tages. Hilfe - und keine Beschäftigung oder gar Bespaßung! Mit diesem massiven Eingriff zwingt der Bezirk die Assistentinnen zu gering bezahlter Untätigkeit, während die Arbeitgeberin unterversorgt auf den Ablauf der drei Stunden warten und hoffen muss, dass keine Notsituation eintritt. Da außer dem Bezirk alle Beteiligten die praktische Undurchführbarkeit erkennen, arbeiten die Assistentinnen durch und nehmen damit im Interesse ihrer Arbeitgeberin notgedrungen in Kauf, dass diese Stunden unterbezahlt sind.
Behandlung als ambulanter Dienst?
Einer Arbeitgeberin „gewährt" der Bezirk Unterfranken einen Stundensatz. Dieser soll alles enthalten, was in so einem Arbeitsverhältnis anfällt: Arbeitgeberanteile, Ausfallzeiten etc. Einwände, dass eine Arbeitgeberin einen Stundenlohn benötigt, um Menschen zu bezahlen, bleiben unbeachtet. Wie soll sie, die diese Gelder nur verwaltet, den sich aus dem Stundensatz ergebenden Stundenlohn ermitteln? Darauf gibt der Bezirk keine Antwort. Auf diese Weise verschleiert er die Tatsache, dass der Stundensatz unzureichend bemessen ist. Unter Berücksichtigung der Arbeitgeberanteile und Lohnnebenkosten ist der verbleibende Stundenlohn nicht mehr bedarfsdeckend, da man so keine geeigneten Arbeitskräfte findet. Stundensätze werden mit ambulanten Diensten und Anstaltsbetreibern vereinbart. Dieses Modell ist jedoch nicht übertragbar auf behinderte Menschen, die das Arbeitgebermodell praktizieren. Da es in Würzburg viele behinderte Arbeitgeber*innen gibt, will man wohl die Vergleichbarkeit stören. Durch diese ungeregelte Handhabung wird die Konkurrenz auf dem ohnehin schon schwierigen Arbeitsmarkt verstärkt. Bei einem anderen Arbeitgeber schreibt der Bezirk Fachstunden mit einem Stundensatz in Höhe von 38 Euro und Assistenzstunden mit einem Stundenlohn von 11 Euro vor. In der Praxis ist das mit dem Arbeitgebermodell nicht zu realisieren. Ist genau das die Absicht des Bezirks?
Befristete Budgets als Instrument staatlicher Macht
Im Oktober 2017 wurde vor dem Sozialgericht Würzburg ein gerichtlicher Vergleich geschlossen, der das jahrelange Ringen über die Höhe des Persönlichen Budgets eines sehr schwer behinderten Arbeitgebers beendete. Im Vergleich verpflichtete sich der Beklagte Bezirk Unterfranken, einen Gutachter zur Feststellung des tatsächlichen Bedarfs heranzuziehen. Die Zielvereinbarung zum Persönlichen Budget endete am 31.08.2018. Fachleute, die infrage kamen, waren nach Ansicht des Bezirks Unterfranken der zuständige Landesarzt, ein Arzt des unterfränkischen Zentrums Bayern Familie und Soziales oder ein anderer geeigneter ärztlicher Gutachter. Mit dieser geballten Kompetenz sollte der Bedarf des von einer fortschreitenden Behinderung betroffenen Arbeitgebers bestätigt oder abgewehrt werden. Während sich die Begutachtungen aus vielerlei Gründen verzögerten, stellte der Bezirk Unterfranken seine Zahlungen um, diese erfolgten fortan nur noch willkürlich. Schließlich „gewährte" der Bezirk Unterfranken Abschlagszahlungen, die nicht begründet wurden. Rückfragen des Arbeitgebers zum Inhalt des Gutachtens blieben unbeantwortet. Bis zum jetzigen Stand ist zu vermuten, dass das Gutachten nicht zum Konzept passt. Dessen Herausgabe wird verzögert, wiederholte diesbezügliche Anfragen bleiben unbeantwortet. Das Würzburger Sozialgericht, wohl mit den Gepflogenheiten des Bezirks Unterfranken vertraut, empfahl ausdrücklich ein konstruktives und faires Verhältnis zu den Leistungsempfängern. Diese ernsthafte Ermahnung war nach unserer Auffassung mehr als angebracht.
Es ist ohnehin ein Unding, Persönliche Budgets zu befristen. Es gibt zahlreiche Behinderungsarten, deren Folgen sich nicht verbessern. Diese bleiben gleich oder verschlechtern sich. Befristungen sehen wir als rein arbeitsplatzerhaltende Maßnahmen für zahlreiche Menschen in den Behörden. Schlimm daran ist aber, dass Befristungen von Kostenträgern als Machtinstrumente gegen behinderte Menschen eingesetzt werden. Dieser Mensch hat eine fortschreitende Behinderung. Dennoch kommen hier aus öffentlichen Mitteln bezahlte Staatsdiener zum Einsatz, die dessen verbleibende Lebenszeit mit unsinnigen Vorgaben, Kontrollen, Gutachten erschweren. Dabei hätte der Blick eines Laien genügt, um den Bedarf festzustellen oder ihn zu bestätigen. Die letzte Zielvereinbarung war im August 2018 abgelaufen. Das Gutachten liegt dem Bezirk unserer Kenntnis nach seit Ende Dezember 2018 vor. Seitdem wird der Arbeitgeber hingehalten und vertröstet. Der federführende Beamte erklärte schließlich dem Arbeitgeber, dass Krankheit für die Verzögerung ursächlich verantwortlich sei. Das könnte man ja nachprüfen, aber das sehen wir als Sache des Gerichts.
Weitere Pflichtverstöße des Bezirks Unterfranken: Nach § 15 Abs. 2 Satz 3 SGB IX hätte die Entscheidung nach Vorliegen des Gutachtens innerhalb von 14 Tagen erfolgen müssen. Im Rahmen eines Persönlichen Budgets kommt hinzu, dass eine Zielvereinbarung abgeschlossen werden muss und hierzu in der Regel auch eine Besprechung erforderlich ist. Stattdessen wird das Gutachten unter Verschluss gehalten und der federführende Beamte entscheidet am Schreibtisch. Gegen ihn wurde eine Beschwerde eingereicht. Der nächste Rechtstreit ist so vorprogrammiert.
Außerdem ist die Leistungspflicht durch das Ende der Zielvereinbarung zum Budget nicht beendet. Bis zur Entstehung eines neuen Budgets hätte die Leistung spitz abgerechnet werden müssen. Auch hier hat der Bezirk Unterfranken seine gesetzlichen Verpflichtungen nicht erfüllt!
Mit nacktem Hintern am Küchentisch?
Eine schwerbehinderte Frau bekam ein persönliches Budget von acht Assistenzstunden pro Tag bewilligt, die bei ihr absolut nicht ausreichten. Es wurde die Kostenübernahme für einen Mehrbedarf von täglich vier Stunden beantragt. Der Bezirk schickte wiederholt seine Sachverständigen zur Prüfung. Die Antragstellerin berichtete den Mitarbeiterinnen des Bezirkes, dass sie den Vormittag auf der Toilette verbringe und bis zum Mittag dort sitzen bliebe. In dieser Zeit nähme sie das Frühstück und Getränke zu sich, weil niemand da sei, der sie zur Toilette bringen könne. Die Damen waren sehr erschüttert ob dieser Tatsache und begannen sofort, Vorschläge zu machen. Einer davon: Sie soll sich doch, auf ihrem Toilettenstuhl sitzend, in die Küche schieben lassen, um dort ihr Essen einzunehmen. Die behinderte Frau entgegnete darauf, dann bliebe sie lieber auf der Toilette sitzen, da sei wenigstens eine Heizung. Der Bezirk machte später nochmals Besprechungsbedarf geltend. Bei der Antragstellerin erschien eine Dame des Bezirks und zückte aus ihrer Aktentasche - eine Liste stationärer Einrichtungen. Damit war der Besprechungsbedarf abgehakt. Dieser Vorgang wurde schon vor längerer Zeit und seither immer wieder mal veröffentlicht. Der Bezirk sah nie die Notwendigkeit, zu diesem ungeheuerlichen Vorgang auch nur Stellung zu nehmen.
Schlag in die Magengrube der Gerechtigkeit
ForseA empfiehlt seit Jahrzehnten eine Tarifgruppe, die ihren Ursprung im BAT KR1 hat. Damals war das die unterste Tarifgruppe für ungelernte Menschen in der Pflege. Nach Umwandlungen nennt sich dieser Tarif heute „TVöD-K, P-Tabelle, Gruppe P6, Stufe 2". Diese Empfehlung hat vor fünf Jahren das LSG NRW als angemessen bezeichnet. Vom Bezirk Unterfranken wird dieses Urteil ignoriert. Im Bedarfsfall wird ein erstinstanzliches Urteil aus NRW zitiert, das älter als zehn Jahre ist und jegliche Tarifbindung verweigert. Man sucht sich also die Rechtsprechung aus, die dem gewünschten Ergebnis entspricht und ignoriert die Fortschritte der Rechtsprechung in diesem Bereich. Einigen Bürger*innen mit Assistenzbedarf hat der Bezirk die Tarifgruppe „gewährt". Allerdings hat man sich auf eine wöchentliche Arbeitszeit von 39 Stunden festgelegt. Daran änderte sich auch nichts, als der Nachweis erbracht wurde, dass der TVöD-K für Bayern explizit die 38,50 Wochen-Stunden beinhaltet. Umgehend machte man sich auf die Suche nach anderen tariflichen Arbeitszeiten und wurde im TV-V (für Versorgungsbetriebe) fündig. Im Sozialgericht Würzburg und im Landessozialgericht Schweinfurt fanden sich Richter, die diese Manipulation für richtig hielten. Für die betroffenen Arbeitgeberinnen war es hingegen ein Beweis, dass der Bezirk seine Macht dazu missbraucht, ursprünglichen Irrtümern einen legalen Anstrich zu geben. Der TV-V kennt jedoch diese Entgelte des TVöD-K nicht. Das Signal für die betroffenen Menschen lautet eindeutig, dass der Bezirk machen kann, was er will. Die davon betroffenen Menschen haben keine Chance. Diese falsche Festlegung wurde von der Regierung von Unterfranken, vom Sozialgericht Würzburg und vom LSG in Schweinfurt bestätigt. Damit arbeiten die Assistentinnen eine halbe Stunde länger in der Woche oder verlieren beim Stundenlohn 20 Cent. Natürlich geht davon die Welt nicht unter. Aber als Machtdemonstration des Bezirks entfaltet diese eine fatale Wirkung.
"Das Grundgesetz ist kein Geschwätz, sondern gilt!"
(Verfassungsrichterin Erna Scheffler am 18. Dezember 1953)
Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
(Art.3, Abs.3, Satz 2 GG)
Dieser Satz 2 des Absatzes 3 des Artikel 3 Grundgesetz führte lange Jahre ein Mauerblümchendasein. Nur das Bundesverfassungsgericht hatte ihn im Bewusstsein und führte am 10.10.2014 (Az.: 1 BvR 856/13) aus: "Das Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG erschöpft sich nicht in der Anordnung, Menschen mit und ohne Behinderung rechtlich gleich zu behandeln. Vielmehr kann eine Benachteiligung auch vorliegen, wenn die Lebenssituation von Menschen mit Behinderung im Vergleich zu derjenigen nicht behinderter Menschen durch gesetzliche Regelungen verschlechtert wird, die ihnen Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten vorenthalten, welche anderen offenstehen." Diese oder ähnlich lautende Einschätzungen sind auch in anderen Entscheidungen der Verfassungshüter zu finden. Sie haben Gesetzescharakter und binden nach § 31 BVerfGG alle drei Staatsgewalten!
Fachgerichte machten sich daran, den geforderten Vergleich weiter auszuarbeiten. So zum Beispiel das Landessozialgericht Baden-Württemberg: am 14.04.2016 (Az.: L 7 SO 1119/10): "Der Teilhabebedarf besteht im Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile; maßgebliche Vergleichsgruppe ist der nichtbehinderte und nicht sozialhilfebedürftige Mensch vergleichbaren Alters."
Oder am 22.02.2018 (L7 SO 3516/14): "Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es, den behinderten Menschen durch die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nach Möglichkeit einem Nichtbehinderten gleichzustellen; der Bedürftige soll die Hilfen finden, die es ihm – durch Ausräumen behinderungsbedingter Hindernisse und Erschwernisse – ermöglichen, in der Umgebung von Nichthilfeempfängern ähnlich wie diese zu leben." (…) „Hinsichtlich der Eingliederungshilfeleistungen für wesentlich Behinderte - wie die Klägerin - im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII besteht kein behördliches Ermessen, sondern ein Anspruch des wesentlich Behinderten."
Hier werden also den Ermessensspielräumen der Kostenträger enge Grenzen gesetzt. Der Bezirk dagegen redet nur von der jeweiligen Besonderheit des Einzelfalls, hinter der er Deckung sucht. Diesen Besonderheiten jedoch steht das Gleichbehandlungsprinzip gegenüber. Und natürlich auch die Pflicht zur Bedarfsdeckung.
Übrigens: Bereits im Jahre 1966 urteilte das Bundesverwaltungsgericht, dass bei der Eingliederungshilfe die Wirksamkeit der Hilfe und nicht die möglichste Schonung der öffentlichen Finanzen im Vordergrund steht und sich eine Auslegung verbietet, die allein auf die finanziellen Auswirkungen der begehrten Hilfe auf die öffentlichen Finanzen abhebt (Urteil vom 31.8.1966 - V C 185.65 Absatz 14)
Welcher Mensch ohne Behinderung in Unterfranken
- wird jeden Tag drei Stunden daran gehindert, am Leben teilzunehmen?
- wird am Vormittag dazu „angeregt" mit nacktem Hintern auf einem Toilettenstuhl die Zeit zuzubringen?
- bekommt die staatliche Macht, respektive die eigene Ohnmacht so zu spüren wie die geschilderten behinderten Menschen?
Es wird versichert, dass die Liste der Zumutungen keinesfalls abschließend ist!
Um den Grundgesetzartikel 3 Absatz 3, Satz 2, der nach Artikel 1 Absatz 3 Grundgesetz „Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht." bindet, mit Leben zu füllen, müssen behinderte Menschen mit staatlicher Hilfe so gestellt werden, dass sie, von der Behinderung mal abgesehen, so leben können wie andere Menschen auch. Dazu fehlt - nicht nur in Unterfranken - viel. Aber in Unterfranken als einer von sieben Bezirken Bayerns scheinen Entscheidungen nach Gutsherrenart noch immer fester Bestandteil des Regierungshandelns zu sein. Was nicht passt, wird passend gemacht. Und was Bedarf ist, bestimmt der Bezirk und nicht der Mensch, der seinen gesetzlich zustehenden Nachteilsausgleich in Anspruch nehmen will. Dabei steht die Behördenleitung in jedem einzelnen Vorgang hinter den Sachbearbeitern, die damit einen Freibrief zur Diskriminierung ausgestellt bekommen und diesen im Sinne der Behörde nützen. Es darf nicht Aufgabe einer Behörde sein, statt der Umsetzung der §§ 13,14 SGB I sich auf Abwehrstrategien zu beschränken, um Antragsteller*innen abzuschrecken.
Hier noch den Hinweis auf die thematisch passende kobinet-Kolumne vom 19. Mai 2019 „Quo vadis Behindertenhilfe?"
Weitere Diskriminierungen auf der ForseA-Seite „Geschichten aus Absurdistan"