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Gedanken zum Jahreswechsel 2018/2019

Geht’s noch …. vorwärts?

Eine Betrachtung zum Jahreswechsel von Gerhard Bartz

Symbolbild Jahreswechsel 2018/2019 Kaum zu glauben, das Jahr 2018 liegt in den letzten Zügen. Und mit ihm ruht anscheinend ganz Deutschland. Ganz Deutschland? Nein! Geht man vom Eindruck in der Öffentlichkeit aus, dann bestimmen Flüchtlinge nach wie vor den gesellschaftlichen Diskurs. Schuld daran: Die AfD und Politiker, die meinen, dieser das Wasser abgraben zu können, indem sie sich selbigen Themas bemächtigen. In der Union sind es die beiden Kandidaten um den Vorsitz, Jens Spahn und Friedrich Merz. Letzterer machte sich auch schon mal über die Verfassung her und erschrak, als dieser Versuchsballon mit einem lauten Knall platzte.

Die darauffolgende Diskussion sorgte aber auch dafür, dass die behinderungspolitische Situation so gut wie nie in den Fokus der Öffentlichkeit geriet. Im Gegensatz zu den Verfassungsrechten und den Segnungen der Behindertenrechtskonvention blieb bei den Sozialgesetzen und deren Ausführung alles beim Alten. Vielerorts verschlimmerte sich die Situation sogar, weil Kostenträger ihre neu gestärkte Macht an den Antragstellerinnen und Antragstellern erprobten. So gibt es noch immer Menschen, denen das Pflegegeld nach § 64a SGB XII bis zum heutigen Tag vorenthalten wird, weil vermutlich irgendein kreativer Kopf einer kommunalen Dachorganisation auf die Idee kam, die Verwirrung um das Bundesteilhabegesetz und das Pflegestärkungsgesetz dazu zu nutzen, Leistungen einzustellen.

Wenn es zu Monatsbeginn morgens klingelt

Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Es klingelt am Monatsanfang an Ihrer Haustüre und zwei Angestellte einer Behörde erklären Ihnen, wie Sie zu leben haben. Und dann holen die Behördenvertreter den Eintrittspreis für Ihr Leben, sagen wir 900 Euro, bei Ihnen ab. Monat für Monat. Nein, das sind keine Schutzgelderpresser, es bringt nichts, die Polizei zu rufen! Diese 900 Euro sind die Ihnen vom Gesetzgeber auferlegte Selbstbeteiligung, um an die gesetzlich verbürgte Leistung zu kommen, die Ihnen gleichberechtigte Teilhabe am Leben ermöglichen soll. Wohlbemerkt: Sie selbst haben durch diese Leistung gegenüber Ihren Mitmenschen ohne Behinderung keine Vorteile. Lediglich die Nachteile werden abgemildert.

Werden wir überhaupt als Bürgerinnen und Bürger wahrgenommen?

Es hat nicht den Anschein! Behördliche Diskriminierungen geschehen unter den Augen der Öffentlichkeit, ohne deren Empörung hervorzurufen. Dabei erwarten Menschen mit Behinderung diese Unterstützung und Solidarität.

Doch gerade von den Medien wird diese Diskriminierung ausgeblendet. Andere Themen, wie das Tamtam um 2 % Renten- oder Lohnerhöhungen oder das Feiern der Parteien, weil der Zusatzbeitrag zur Krankenversicherung nun wieder paritätisch erhoben werden soll, finden dagegen locker Einlass in die Nachrichtensendungen.

Nimmt man uns Monat für Monat, wie im obigen Beispiel, 900 Euro weg, oder erzählt uns, dass wir nach dem Frühstück bis zum Mittagessen mit nacktem Hintern auf dem Toilettenstuhl sitzend in der Küche zubringen müssen, um Geld zu sparen, bleibt nichtbehinderten Menschen kurz der Atem weg. Aber der kommt schnell wieder. Business as usual ist - zur Freude der Regierenden - angesagt. Nur mit dieser Einstellung kann die Diskriminierung behinderter Menschen ungestört weiterbetrieben werden.

Da hat die Regierung erkannt, dass die wirtschaftliche Mithaftung von Ehepartnerinnen und -partnern an den Assistenzkosten familienfeindlich ist. Großartig! Aber warum legt man 2016 fest, dass dieser unhaltbare Zustand erst 2020 beendet wird? Sicherlich nicht wegen der Beträge, die damit eingespart werden. Man scheint in den Regierungen und Parlamenten wohl der Ansicht zu sein, dass ein zu schneller Wegfall der Diskriminierung den Diskriminierten schaden würde. Man will uns wohl langsam an die Segnungen der neuen Zeit heranführen.

Was ändert sich 2019?

Nichts! Erst in 2020 wird es Änderungen in der Einkommens- und Vermögensanrechnung geben. Aber schon heute wird heftig über die Berechnungen gestritten. Es zeigt sich, dass 2016 viele Gemeinheiten in die Zukunft verschoben wurden, um angesichts heftiger Proteste im zweiten Halbjahr etwas „Druck aus dem Kessel" zu nehmen. Gerade in Sachen Zumutbarkeitsregeln und dem Zwangspoolen (Einsparung von Assistenz durch Mehrfachnutzung, mehrere schöpfen aus einem „Pool") von Leistungen ist noch gar nichts in trockenen Tüchern.

Dafür werden wieder Legionen von Wissenschaftlern und Sachverständigen losgeschickt, die der Regierung bestätigen sollen, dass vertagte Knackpunkte, wie zum Beispiel die Leistungsbeschränkung auf mindestens x von 9 Hilfearten, in der Praxis zu keinen Einschränkungen unserer Lebenssituation führen würden.

Abgrenzungsprobleme

Menschen mit behinderungsbedingtem Hilfebedarf fordern schon seit vielen Jahren neben den Hilfearten „Pflege" und „Eingliederung" auch die „Assistenz" zu etablieren. Eine der Hauptsorgen der Politik ist offensichtlich, die Aussonderung von alten Menschen könne ins Stocken geraten, sobald diese Hilfebedarf haben. Denn im Gegensatz zu vielen anderen Nachbarländern hat sich in Deutschland für diesen Personenkreis ein Eldorado für Investoren entwickelt. Überall schießen Alten- und Pflegeheime aus dem Boden, die mit Insassen gefüllt werden müssen. Der Preisvorteil gegenüber der Pflege zuhause wird mit dem Wegfall vieler Freiheitsrechte der dortigen Insassen eingetauscht.

Wenn man mit den alten Menschen also auch in Zukunft so umgehen möchte (und wenn diese sich das noch lange gefallen lassen), dann muss man lediglich Kriterien schaffen, welche die beiden gesellschaftlichen Risiken „Behinderung" und „Alter" unterscheidbar macht. Denn man will ja unbedingt verhindern, dass alte Menschen ihr Erspartes vererben, während der Steuerzahler für die entstandenen Kosten aufkommen muss.

Und das geht ganz einfach: Wer nach der Regelaltersgrenze erstmals Hilfe benötigt, wird nach dem Kriterium „Alter" behandelt.

Ist man jedoch schon vor der Regelaltersgrenze behindert, bleibt man auch beim Überschreiten dieser Grenze bei der Hilfeart „Assistenz".

Damit wäre das Unterscheidungsproblem gelöst. Übrig bleiben dann noch Härtefälle, wenn beispielsweise ein fitter 70-Jähriger durch äußere Einwirkungen, nicht durch alterungsbedingte Veränderungen, gelähmt wird. Diese könnte man via Härtefallregelung auch mit der Hilfeart „Assistenz" versorgen.

Unter der Hilfeart „Assistenz" verstehe ich die Pflicht zur Bedarfsdeckung. Dabei würde ich einen Satz aus einem Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 14.04.2016 zum Maßstab nehmen: „Der Teilhabebedarf besteht im Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile; maßgebliche Vergleichsgruppe ist der nichtbehinderte und nicht sozialhilfebedürftige Mensch vergleichbaren Alters" (Az.: L 7 SO 1119/10). Damit wird dem Artikel 3 GG Rechnung getragen und die Anrechnung von Einkommen und Vermögen wäre vom Tisch. Dann würde es auch nicht mehr Monat für Monat an der Haustüre klingeln….

Wir müssen endlich als Behindertenbewegung wieder zusammenfinden und uns hinter einer Forderung vereinen! Und wir brauchen die Öffentlichkeit! Ohne die Gesellschaft werden wir trotz der Versprechungen Deutschlands gegenüber der UN, den Diskriminierungen durch Regierungen, Parlamente und Kostenträger ausgeliefert bleiben.

Die dritte Staatsgewalt Justiz ist im Gegensatz zu den anderen beiden bei der Einbeziehung des Grundgesetzes und der Behindertenrechtskonvention schon wesentlich weiter. Aber das Recht ist eine Zeit- und leider mittlerweile auch eine Geldfrage. Beides ist bei Menschen mit Behinderungen nicht sehr üppig vorhanden. Wenn wir Hilfe brauchen, dann brauchen wir diese sofort und nicht nach zwei Jahren, wenn der Kostenträger endlich gerichtlich von unseren Rechten überzeugt werden konnte.

Die Parteien der Großen Koalition grübeln, warum ihnen die Wählerinnen und Wähler abhandenkommen. Mit ihrem schändlichen Umgang mit behinderten Menschen bei der Einführung des Bundesteilhabegesetzes haben sie ein Muster abgeliefert, wie man mit Bürgerinnen und Bürgern nicht umgehen darf!

Wir sind doch welche? Oder?


 

 

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