auf dem Podium
Persönliche Assistenz - Politik in der Verantwortung:
Aussonderung behinderter Menschen oder Leben in Gleichberechtigung?
Podiumsdiskussion mit Bundes-, Landes- und KommunalpolitikerInnen 19.00 Uhr
im Felix-Fechenbach-Haus in Würzburg
Veranstalter: WüSL -
Selbstbestimmtes Leben von Menschen mit Behinderungen in Würzburg e.V.
Tel.:0931-50456 Fax: 0931-50455
Die Tour hat begonnen!
Bericht über die Podiumsdiskussion
Persönliche Assistenz - Politik in der Verantwortung: Aussonderung
behinderter Menschen oder Leben in Gleichberechtigung?
im Würzburger Felix-Fechenbach-Haus am 1.2.2001 - die erste Station unserer
"Tour für Menschenwürde in der Pflege"
von Elke Bartz
Würzburg * Eingeladen hatte WüSL (Selbstbestimmtes Leben von Menschen mit
Behinderung Würzburg, e.V.) und etwa 150 behinderte und nichtbehinderte
Teilnehmerinnen und Teilnehmer kamen. Besonders erfreulich war, dass es sich
bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern nicht nur um in der
Behindertenarbeit Tätige handelte. So waren Menschen mit körperlichen und
sogenannten geistigen Behinderungen genauso anwesend wie AssistentInnen und
VertreterInnen von Selbsthilfeorganisationen. Letztere reisten u.a. aus
München, Erlangen und Kassel an, was die Bedeutsamkeit des Themas
unterstrich.
Hindergrund der Veranstaltung
Nicht nur unsere Tour für Menschenwürde in der Pflege und die
Assistenzkampagne der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in
Deutschland - ISL e.V -, gaben Anlass zu dieser gut besuchten Veranstaltung.
Gerade auch die besondere Situation dreier assistenznehmender Menschen, die
in Würzburg leben (siehe diverse Seiten unserer Homepage) machten die
Podiumsdiskussion geradezu zwangsläufig notwendig.
Mitwirkende der Podiumsdiskussion
Auf dem Podium saßen Christine Scheel, MdB und Vorsitzende des
Finanzausschusses im Deutschen Bundestag, Angelika Huck, Referatsleiterin
der Abteilung Eingliederungshilfe als Vertreterin von Bundesarbeitsminister
Riester, Horst Frehe vom Forum behinderter Juristinnen und Juristen, Elke
Bartz und WüSL-Vorstandsmitglied Barbara Windbergs. Moderiert wurde die
Diskussion von Dr. Harald Ebert.
Wer fehlte
Der ebenfalls eingeladene Würzburger Oberbürgermeister Jürgen Weber hatte
kurzfristig ohne Begründung abgesagt. Auch Sozialreferent Dr. Peter Motsch
fand den Weg ins Felix-Fechenbach-Haus nicht. Das Fernbleiben der beiden
Herren wurde allseits bedauert, da diesen als Verantwortlichen für die
derzeitige Situation in Würzburg die Gelegenheit zum Dialog gegeben werden
sollte.
Ablauf und Inhalt der Veranstaltung
Nach einer kurzen Begrüßung von Barbara Windbergs hielt Horst Frehe das
Einführungsreferat (LINK zu 1.3.1.2.1.). Angelika Huck erläuterte das
künftige SGB IX und hob insbesondere auch das darin verankerte Recht auf
Arbeitsassistenz hervor. Jedoch betonte sie, dass das SGB IX kein
Leistungsgesetz würde, da der Finanzierungsvorbehalt dadurch entstehende
Mehrkosten verbiete. Christine Scheel unterstrich ebenfalls, wie wichtig
eine Gesetzgebung wie das SGB IX und das künftige Gleichstellungsgesetz für
die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen in der Gesellschaft
sind. Elke Bartz zeigte an Fallbeispielen deutlich die Grenzen des SGB IX
auf. Wer neben der Arbeitsassistenz auf persönliche Assistenz im
Privatbereich angewiesen ist, wird - sofern die Leistungen der
Pflegeversicherung dafür nicht ausreichen - auch künftig auf einkommens- und
vermögensabhängige Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG)
angewiesen sein.
Kommunale Unterschiede
Aus dem Publikum wurde darauf hingewiesen, dass die Anwendung der
(bundeseinheitlichen) Gesetze nicht nur von Bundesland zu Bundesland,
sondern sogar von Kommune zu Kommune variieren. So ist es in Städten wie
München kein Problem, persönliche Assistenz finanziert zu bekommen. Andere
Städte wie Würzburg erkennen die individuellen Bedürfnisse
assistenznehmender Menschen nicht an und verweisen aus Kostengründen auf
vermeintlich kostengünstigere Anstalten und andere Versorgungsformen. Daher
wurde die Forderung bekräftigt, dass § 3a BSHG, der den Kostenvergleich
ermöglicht, gestrichen wird und die Vorrangigkeit der ambulanten vor der
stationären Versorgung wesentlich gestärkt wird.
Einheitliche Rahmenbedingungen für die Beschäftigung von AssistentInnen
Horst Frehes Anregung, bundeseinheitliche Rahmenbedingungen für die
Beschäftigung von AssistenInnen zu schaffen, damit nicht jeder einzelne
behinderte Mensch die Modalitäten mit den Kostenträgern aushandeln muss,
fand breite Zustimmung. In der Praxis reichen z.B. die Bewilligungen bei
Kostenübernahmen derzeit von Tariflöhnen (jedoch nach unterschiedlichen
Tarifen wie BAT und AVR) über Dumpinglöhne bis zu den deutlichen
Aufforderungen, AssistentInnen ohne Anmeldung beim Finanzamt und den
Sozialversicherungsträgern zu beschäftigen. Damit drängen die Kostenträger
behinderte Menschen und AssistentInnen in die Illegalität. Laut Horst Frehe
sind die Sozialhilfeträger die größten Finanziers von Schwarzarbeit.
Nachteile durch Kürzungen beim Zivildienst
Beim Thema Zivildienst und die Folgen der Kürzung der Zivildienstzeit sowie
der Streichung von rund 30.000 Zivildienstplätzen wunderte sich Christine
Scheel. Ihr wurde versichert, diese Kürzungen und Streichungen hätten keine
Auswirkungen auf die Individuelle Schwerstbehindertenbetreuung (ISB). Die
Problematik der drei WürzburgerInnen kann jedoch als trauriges
Paradebeispiel dafür dienen, wie sich die Realität gerade auch in diesem
Bereich darstellt. - Es gilt, schon jetzt nach sinnvollen Alternativen für
den Zivildienst zu suchen, falls dieser eines Tages vollkommen wegfällt.
Steigende Kosten könnten unter anderem durch Einsparungen beim Wehr- und
Zivildienst kompensiert werden. Barbara Windsbergs veranschaulichte, dass
die Kosten für den Zivildienst nicht nur den Sold umfassen, sondern auch
Ausfälle bei den Sozialversicherungsleistungen etc. Daher ist die
Beschäftigung hauptamtlicher AssistentInnen und UnterstützerInnen
gesamtgesellschaftlich gesehen längst nicht so kostenintensiv wie häufig
dargestellt.
Wahlmöglichkeiten, wie die Hilfe organisiert wird
In der Diskussion wurde ebenfalls deutlich, wie wichtig es ist,
unterschiedliche Hilfeformen zur Verfügung zu stellen, um den individuellen
Bedürfnissen der Menschen gerecht zu werden. Nicht jede/r will und kann das
Arbeitgebermodell praktizieren. Doch darf bei der Kostenbewilligung nur die
Bedarfsdeckung und nicht die Höhe der Kosten zum Tragen kommen. Ein Mann mit
Autismus verdeutlichte, wie schwer es ist, die für ihn geeignete
Unterstützung zu erhalten. Diese Erfahrungen machen viele Menschen, deren
Assistenz- und Unterstützungsbedarf sich nicht einfach nach Grundpflege,
hauswirtschaftlicher Versorgung etc. definieren lässt (Anm. der Autorin).
Resümee der Veranstaltung
Bei der Veranstaltung wurde sehr deutlich, welchen Problemen behinderte
Menschen gegenüberstehen, gleichgültig welche Beeinträchtigung sie haben und
auf welche Art der Assistenz/Unterstützung sie angewiesen sind. Das SGB IX
wird in einigen Bereichen eine mehr oder weniger deutliche Verbesserung
bringen, aber längst nicht alle Probleme lösen. Veranstaltungen, Touren und
Kampagnen werden sicher nicht zum letzten Mal durchgeführt werden müssen,
bis behinderte Menschen tatsächlich alle notwendigen Nachteilsausgleiche
erhalten.
Assistenz bei behinderten Menschen
Aus: Mainpost - Dienstag, 06.02.2001 - Stadt Würzburg
Aussonderung oder Gleichberechtigung?
GROMBÜHL (WOLF) · Die Veranstaltung von WüSL hatte eine Vorgeschichte.
Der OB hat eine Chance vertan, für eine überregionale Lösung des
Assistenzproblems einzutreten, sagt die WüSL-Sprecherin Barbara Windbergs.
WüSL, der Verein für "Selbstbestimmtes Leben von Menschen mit Behinderung
Würzburg" hatte neben anderen Jürgen Weber eingeladen, um über "Persönliche
Assistenz - Politik in der Verantwortung: Aussonderung behinderter Menschen
oder Leben in Gleichberechtigung?" zu diskutieren.
Im Oktober hatte WüSL den Oberbürgermeister laut Windbergs eingeladen, nur
wenige Tage vor der Veranstaltung habe er ohne Angabe von Gründen absagen
lassen.
Die Veranstaltung hat eine Vorgeschichte: In Würzburg müssen drei
Rollstuhlfahrer erhebliche Einschränkungen ihres bis jetzt selbstbestimmten
Lebens fürchten, weil die Stadt die gestiegenen Kosten für die Betreuung
("Assistenz") deckeln will. Sie haben gegen den städtischen Bescheid
geklagt. Vor allem im Internet wird die Stadt seit Monaten heftig für ihre
Entscheidung angegriffen.
Windbergs sagte, die Auseinandersetzung sei "ein ziemlicher Hickhack". Sie
findet eine überregionale Lösung wichtig, damit "die Finanzierung nicht
alleine auf den Schultern der Stadt ruht."
Im ganzen Bundesgebiet haben Assistenznehmer ähnliche Probleme. Die
"Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland" (ISL) startete
eine bundesweite "Assistenzkampagne".
Im Rahmen dieser Kampagne hatte WüSL zur Diskussion ins
Felix-Fechenbach-Haus geladen. Horst Frehe, Richter am Sozialgericht in
Bremen und ein Vertreter der Selbstbestimmt-leben-Bewegung, forderte für die
Betroffenen eine Reihe von Rechten: die Assistenten selbst auszuwählen, den
Tagesablauf selbst zu organisieren, pflegende Personen selbst anzuleiten,
selbst über den eigenen Aufenthalt und die Finanzen zu bestimmen und selbst
zu entscheiden, von wem welche Leistungen angefordert werden. Frehe forderte
einen "Wechsel vom entmündigenden Versorgungsdenken hin zu einem
selbstbestimmten Leben."
Bundesarbeitsminister Walter Riester ließ sich durch die
Regierungsdirektorin Angelika Huck vertreten. Sie berichtete von
Verbesserungen für behinderte Menschen am Arbeitsplatz. Das Recht auf
persönliche Assistenz sei aber noch nicht in ein Gesetz gefasst worden. Das
habe finanzielle Gründe. Elke Bartz, die Vorsitzende des Forum
selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen (Forsea) in Berlin, sagte,
die Selbstbestimmt-leben-Bewegung wolle "Nachteilsausgleiche, keine
Bevorzugung". Die Bewegung wolle "nicht nur mit dem Kriegsbeil rumrennen,
sondern sich mit den Städten und Gemeinden verbünden".
Christine Scheel, bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des
Finanzausschusses im Bundestag, sprach sich für bundesweit einheitliche
Regelungen aus. Natürlich müsse die ambulante Betreuung Vorrang haben.